Präambel

Die Erhebung der Anamnese und die körperliche Untersuchung sind anerkannte Standards in der präoperativen Evaluation. Ob und unter welchen Umständen technische Voruntersuchungen dazu beitragen können, das perioperative Risiko zu reduzieren, ist bislang nur unzureichend untersucht. Die nachfolgenden Empfehlungen zur präoperativen Evaluation beruhen daher neben der verfügbaren Literatur sowie den Leitlinien nationaler und internationaler Fachgesellschaften auch auf Expertenmeinungen. Die vorliegenden Empfehlungen gelten für erwachsene Patienten vor elektiven, nichtkardiochirurgischen und nichtlungenresezierenden Eingriffen. Es handelt sich um eine Überarbeitung und Aktualisierung der erstmals im Jahre 2010 publizierten Empfehlungen der Deutschen Fachgesellschaften der Inneren Medizin, Chirurgie und Anästhesiologie [1], die seither im deutschsprachigen Raum eine gute Durchdringung und Akzeptanz erfahren haben [2, 3].

Zunächst werden die allgemeinen Prinzipien der präoperativen Evaluation dargestellt (Teil A). Das Vorgehen bei Patienten mit bekannten oder vermuteten kardiovaskulären Vorerkrankungen wird gesondert betrachtet (Teil B: „Erweiterte kardiale Diagnostik“). Abschließend wird der perioperative Umgang mit der Dauermedikation diskutiert (Teil C).

A Allgemeine Prinzipien

Die präoperative Evaluation sollte in ausreichendem Abstand zum operativen Eingriff erfolgen, da hierdurch die Dauer des stationären Aufenthalts, die Anzahl abgesetzter Operationen sowie Kosten reduziert werden können [4, 5]. Wünschenswert wäre die Terminierung erforderlicher Voruntersuchungen bereits zum Zeitpunkt der Indikationsstellung zur Operation. Ein Intervall von 6 Wochen zwischen Evaluation und Operation sollte hierbei jedoch in der Regel nicht überschritten werden.

A.1 Anamnese und körperliche Untersuchung

Aufgabe der Risikoevaluierung ist es, Patienten mit einer bisher nicht erkannten oder nicht ausreichend behandelten und für die Operation oder Anästhesie relevanten Erkrankung präoperativ zu erkennen und die Therapie zu optimieren. Grundlagen jeder präoperativen technischen Untersuchung sind dabei eine sorgfältige Anamnese einschließlich einer Blutungsanamnese (vgl. A. 2.1), eine orientierende körperliche Untersuchung sowie die Ermittlung der körperlichen Belastbarkeit des Patienten. Anamnese und Untersuchung sollten nach einem standardisierten Schema erfolgen.

Bei größeren Operationen besteht zudem ein Zusammenhang zwischen Mangelernährung und postoperativer Morbidität und Letalität. Die Erfassung des Ernährungsstatus bzw. einer möglicherweise gestörten Nahrungsaufnahme mithilfe geeigneter Screeninginstrumente (z. B. NRS 2002) sollte daher bei V. a. Mangelernährung (häufiger Indikator: BMI < 18.5 kg/m2) Teil der präoperativen Untersuchung sein [6].

Ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine relevante, das perioperative Vorgehen potenziell beeinflussende Vorerkrankung, sind – unabhängig von Art und Dauer des Eingriffs oder dem Alter des Patienten – weiterführende Untersuchungen nicht erforderlich.

A.2 Einschätzung des perioperativen Risikos

Perioperative, nicht primär chirurgische Komplikationen betreffen vor allem das Herz-Kreislauf-System sowie das respiratorische System. Es ist daher sinnvoll, das individuelle Risiko zur Entwicklung entsprechender Komplikationen präoperativ abzuschätzen.

A.2.1 Kardiovaskuläres Risiko

Die Abschätzung des perioperativen kardialen Risikos sowie die Entscheidung für oder gegen eine erweiterte präoperative Diagnostik basieren wesentlich auf 4 Faktoren:

  1. a)

    dem Vorliegen einer akut symptomatischen Herzerkrankung (Tab. 1),

  2. b)

    dem kardialen Risiko des operativen Eingriffs (Tab. 2),

  3. c)

    dem Vorliegen kardialer Risikofaktoren beim Patienten (Tab. 3 und 4),

  4. d)

    der Belastbarkeit des Patienten (Tab. 5).

Tab. 1 Akut symptomatische Herzerkrankungen („active cardiac condition“ nach [7])
Tab. 2 Kardiales Risiko verschiedener Eingriffe [8]
Tab. 3 Kardiale Risikofaktoren nach dem Revised Cardiac Risk Index (nach [7, 8])
Tab. 4 Kardiale Risikofaktoren nach dem MICA-Score (Myocardial Infarction and Cardiac Arrest)
Tab. 5 Körperliche Belastbarkeit

Gegenüber den Gemeinsamen Empfehlungen aus dem Jahre 2010 [1] haben sich jedoch bei der Bewertung der einzelnen Faktoren z. T. relevante Neuerungen und inhaltliche Ergänzungen ergeben. Diese basieren u. a. auf den Ergebnissen des American College of Surgeons National Surgical Quality Improvement Program (ACS NSQIP) in den USA, in der das Outcome von mehr als 450.000 Patienten nach unterschiedlichen Eingriffen erfasst wurde [9].

Kardiales Risiko des operativen Eingriffs

Der Anteil der Hochrisiko-Operationen (früher beschränkt auf Eingriffe an der Aorta und den Iliakal-/Femoralgefäßen) hat erheblich zugenommen und umfasst heute u. a. eine Reihe weiterer, großer intraabdomineller Operationen (Tab. 2). Umgekehrt weisen endoarterielle Verfahren (z. B. EVAR; früher Hochrisiko-Gruppe) in Hinblick auf das unmittelbar perioperative Risiko Vorteile auf und wurden nun der Risikogruppe 2 (mittleres Risiko) zugeordnet. Zudem wird in Hinblick auf das perioperative kardiale Risiko nicht (mehr) unterschieden zwischen offenen und laparoskopischen Eingriffen.

Kardiale Risikofaktoren des Patienten/Risikoindizes

Neben dem Risiko der Operation und der körperlichen Leistungsfähigkeit wird das perioperative Risiko wesentlich durch die Vorerkrankungen der Patienten determiniert. Wegen der großen Bedeutung kardialer Komplikationen, seiner guten Validierung und leichten Erhebbarkeit wird zur Abschätzung des kardialen Risikos weiterhin der Revised Cardiac Risk Index (RCRI) nach Lee empfohlen. In seiner aktuellen Version weist der RCRI 5 klinische Risikofaktoren auf; der Diabetes mellitus muss insulinpflichtig sein, und die Niereninsuffizienz wird mit einem Kreatinin >2 mg/dl näher charakterisiert (Tab. 3; [8]). Der RCRI ist Bestandteil des Algorithmus zur Indizierung eines präoperativen EKG.

Neben dem RCRI liefert auch der auf der Basis der Daten des ACS NSQIP ermittelte Risikoindex, der sog. MICA-Score (Myocardial Infarction and Cardiac Arrest), eine exzellente Prädiktion kardialer Komplikationen (perioperativer Myokardinfarkt oder Herztod innerhalb von 30 Tagen). Wichtige in den Score eingehende Faktoren sind neben dem Risiko der Operation (s. oben) und der Nierenfunktion (Kreatinin >1,5 mg/dl) der funktionelle Status des Patienten (selbstversorgend, teilweise pflegebedürftig, vollständig pflegebedürftig), die ASA-Klasse sowie das Alter (Tab. 4). Das individuelle Risiko eines perioperativen Myokardinfarkts kann so mittels eines interaktiven Rechners (www.qxmd.com/calculate-online/cardiology/gupta-perioperative-cardiac-risk) ermittelt werden. Die Datenbasis des ACS NSQIP erlaubt zudem die Berechnung einer Vielzahl weiterer perioperativer Risiken (z. B. Wundinfektion).

Körperliche Belastbarkeit

Eine ausreichende körperliche Belastbarkeit ist ein exzellenter Prädiktor für ein gutes perioperatives Outcome. Bei Patienten mit guter körperlicher Belastbarkeit sind präoperative Zusatzuntersuchungen daher nur selten indiziert. Umgekehrt korreliert jedoch eine schlechte körperliche Belastbarkeit (<4 metabolische Äquivalente; MET; Tab. 5) außerhalb der Kardiochirurgie nur relativ schwach mit einer erhöhten perioperativen Letalität [10]. Zusätzliche Begleiterkrankungen, der funktionelle Status (selbstversorgend vs. pflegebedürftig), das Ausmaß von „Frailty“ (Gebrechlichkeit) und das Risiko der Operation treten hier prognostisch stärker in den Vordergrund.

A.2.2 Pulmonales Risiko

Ziel der präoperativen Evaluierung von Lungen und Atemwegen ist die Reduktion perioperativer pulmonaler Komplikationen. Neben der Anamnese und der körperlichen Untersuchung stehen hierfür technische Verfahren (Thoraxröntgen, Spirometrie, Blutgasanalyse) sowie spezifische Scoring-Systeme zur Verfügung [11, 12]. Anhand anamnestischer Informationen sowie der pulsoxymetrisch bestimmten arteriellen Sauerstoffsättigung kann das Risiko einer postoperativen pulmonalen Insuffizienz eingeschätzt werden (Tab. 6; [12]). Darüber hinaus kann mit einem einfachen Score das Risiko für postoperative respiratorische Komplikationen ermittelt werden (Tab. 7; [13]).

Tab. 6 Prädiktoren für eine postoperative pulmonale Insuffizienz (mod. nach [12])
Tab. 7 Prädiktoren für eine postoperative pulmonale Komplikation (mod. nach [13])

A.3 Weiterführende Untersuchungen

Zu den weiterführenden Untersuchungen zählen u. a. Blutuntersuchungen, das 12-Kanal-EKG, die Thoraxröntgen-Aufnahme, Untersuchungen der Lungenfunktion, die Dopplersonographie der Hals- und/oder Beingefäße sowie die Echokardiographie. Bei Verdacht auf eine ischämische Herzerkrankung können Belastungstests und weitergehende bildgebende Verfahren (z. B. Koronarangiographie) indiziert sein.

A.3.1 Blutuntersuchungen

Die präoperative Labor-Diagnostik hat zum Ziel, auffällige Befunde in der Anamnese und/oder der körperlichen Untersuchung zu überprüfen und den Schweregrad bestehender Erkrankungen abzuschätzen. Mit zunehmender Anzahl von Laborparametern steigt jedoch auch die Wahrscheinlichkeit, zufällig außerhalb der „Norm“ liegende Parameter zu entdecken (falsch-positive Ergebnisse). Zahlreiche Studien belegen zudem, dass zunächst als pathologisch eingeordnete Laborwerte häufig nicht behandlungsrelevant sind bzw. das perioperative Vorgehen nicht beeinflussen. Eine routinemäßige Durchführung von Laboruntersuchungen („Screening“) wird daher nicht empfohlen [14]. Auch die Schwere des Eingriffs und das Alter des Patienten stellen per se keine wissenschaftlich bewiesenen Indikationen zur präoperativen Bestimmung von Laborparametern dar.

Dies gilt auch für die Bestimmung von Parametern der Blutgerinnung [15]. So ist die konventionelle Gerinnungsdiagnostik (aPTT, INR, Thrombozytenzahl) nicht in der Lage, die häufigsten Störungen der Blutgerinnung (angeborene und erworbene Störungen der Thrombozytenfunktion sowie des Von-Willebrand-Faktors) zu erfassen. Normwerte schließen somit eine hämorrhagische Diathese nicht aus. Eine Gerinnungsdiagnostik wird daher nur empfohlen bei entsprechender Medikamentenanamnese (z. B. Einnahme oraler Vit.-K-Antagonisten) sowie bei klinischem Verdacht auf eine Gerinnungsstörung, z. B. bei Vorliegen einer positiven Blutungsanamnese auf der Basis eines standardisierten Fragebogens [15, 16].

Bei Patienten mit bekannten oder vermuteten Organerkrankungen wird die Bestimmung der in Tab. 8 dargestellten Laborparameter im Blut als sinnvoller Minimalstandard angesehen.

Tab. 8 Indikationen für präoperative Blutuntersuchungen (Minimalstandard)

Die Bestimmung der Hämoglobinkonzentration ist unabhängig von vorbestehenden Organerkrankungen zu empfehlen, wenn der geplante Eingriff ein relevantes Blutungsrisiko aufweist (z. B. >10 %) und verschiebbar ist. In diesem Fall senkt die kausale Therapie einer neu diagnostizierten Anämie (z. B. die Infusion von Eisen bei Eisenmangelanämie) zusammen mit weiteren Maßnahmen des „Patient Blood Management“ das Transfusionsrisiko der Patienten.

Laboruntersuchungen können zudem indiziert sein, wenn in der präoperativen Phase diagnostische oder therapeutische Maßnahmen erfolgen, die eine klinisch relevante Beeinträchtigung der Homöostase zur Folge haben können.Footnote 1 Differenzierte präoperative Laboruntersuchungen aus chirurgischer Indikation, zur Kontrolle potenzieller Nebenwirkungen von Medikamenten oder bei Vorliegen schwerer Organdysfunktionen bleiben hiervon unberührt.

Ein Diabetes mellitus ist ein relevanter perioperativer Risikofaktor und kann trotz sorgfältiger Anamnese und körperlicher Untersuchung präoperativ unentdeckt bleiben. Ob die routinemäßige präoperative Kontrolle des Blutzuckers bei klinisch unauffälligen Patienten das perioperative Risiko reduzieren kann, ist jedoch unklar. Eine präoperative Bestimmung des Nüchtern-Blutzuckers wird daher nur vor Hochrisikoeingriffen (Tab. 2), bei Vorliegen weiterer kardialer Risikofaktoren (Tab. 3 und 4) sowie bei Patienten mit Übergewicht (Body Mass Index (BMI) >30 kg/m2) empfohlen [17]. Bei bekanntem oder neu diagnostiziertem Diabetes mellitus sollte der Blutzucker perioperativ engmaschig kontrolliert und eingestellt werden.

Für die routinemäßige präoperative Bestimmung „leberspezifischer“ Laborwerte (z. B. γ‑GT, GLDH, ASAT, ALAT, Bilirubin) besteht ohne begründeten klinischen Verdacht keine Indikation. Bei Patienten mit einer Hepatitis in der Anamnese und/oder bei gesichertem bzw. vermutetem Alkoholmissbrauch kann eine Bestimmung der „Transaminasen“ erwogen werden.

Ergibt die Anamnese einen Hinweis auf mögliche übertragbare Krankheiten (z. B. HIV, Hepatitis B/C), wird die Durchführung einer entsprechenden Infektionsdiagnostik empfohlen.

Weitergehende Laboranalysen sollten individualisiert auf dem Boden von Anamnese und körperlichem Untersuchungsbefund nur dann erfolgen, wenn sie absehbar das perioperative Vorgehen beeinflussen. So wird beispielsweise bei medikamentöser Thromboseprophylaxe mit unfraktioniertem Heparin (UFH) eine präoperative Messung der Thrombozytenzahl (zur rechtzeitigen Erkennung einer HIT II) empfohlen. Bei der Verwendung von niedermolekularem Heparin (NMH) kann darauf verzichtet werden. Bei der Gabe von NMH wird jedoch die präoperative Bestimmung des Kreatinins (wegen der Gefahr einer Überdosierung bei Niereninsuffizienz) empfohlen [18].

Patienten mit präoperativ erhöhten kardialen Integritätsmarkern (z. B. Troponin, NT-proBNP) weisen perioperativ vermehrt kardiovaskuläre Komplikationen auf [19,20,21]. Ob die routinemäßige präoperative Bestimmung kardialer Integritätsmarker bei kardiovaskulären Risikopatienten einen Beitrag zur Senkung der perioperativen Morbidität oder Letalität leisten kann, ist bislang unklar; sie wird daher nicht empfohlen. Eine präoperative Bestimmung mit Verlaufskontrolle 48–72 h postoperativ kann jedoch bei kardialen Hochrisikopatienten (MET <4, RCRI >1 für gefäßchirurgische Eingriffe bzw. >2 für nichtgefäßchirurgische Eingriffe) erwogen werden [8].

A.3.2 12-Kanal-EKG

Das präoperative 12-Kanal-EKG soll kardiale Erkrankungen aufdecken, die das anästhesiologische Vorgehen beeinflussen. Für die Indikationsstellung erscheinen folgende Empfehlungen sinnvoll (Abb. 1):

  1. a)

    Bei anamnestisch unauffälligen und kardial asymptomatischen Patienten sind anästhesierelevante Befunde selten. Ein präoperatives EKG ist hier – unabhängig vom Alter – nicht erforderlich [22].

  2. b)

    Bei kardial asymptomatischen Patienten ist ein EKG empfohlen vor Eingriffen mit hohem oder mittlerem kardialen Risiko bei Patienten mit ≥1 kardialen Risikofaktor (Tab. 2; [8]).

  3. c)

    Ein EKG kann erwogen werden, bei sonst unauffälligen Patienten >65 Jahre vor einer Operation mit mittlerem Risiko sowie bei Patienten mit kardialen Risikofaktoren vor einer Operation mit niedrigem Risiko [8]. Footnote 2

  4. d)

    Bei Patienten mit klinischen Symptomen einer ischämischen Herzerkrankung, bei Herzrhythmusstörungen, Klappenerkrankungen, Herzvitien oder einer (Links- bzw. Rechts‑)Herzinsuffizienz oder bei Trägern eines implantierten Defibrillators (ICD) ist ein präoperatives EKG indiziert.

  5. e)

    Bei Trägern eines Herzschrittmachers ist ein präoperatives EKG nicht erforderlich, sofern die regelmäßig vorgesehenen Schrittmacherkontrolltermine eingehalten wurden und der Patient keine klinischen Symptome aufweist.

Abb. 1
figure 1

Empfehlungen zur präoperativen Durchführung eines 12-Kanal-EKG. EKG Elektrokardiogramm, ICD Implantierbarer Cardioverter-Defibrillator

A.3.3 Röntgenuntersuchung der Thoraxorgane p.-a. („Thoraxröntgen“)

Die Sensitivität einer Thoraxröntgenuntersuchung in der Diagnostik kardiopulmonaler Erkrankungen ist bei unauffälliger Anamnese und körperlicher Untersuchung gering [23]. Ihre Durchführung ist präoperativ daher nur indiziert, wenn eine klinische Verdachtsdiagnose mit Konsequenzen für das perioperative Vorgehen (z. B. Pleuraerguss, Atelektase, Pneumonie u. a.) erhärtet oder ausgeschlossen werden soll (Abb. 2; [24]). Daneben kann eine Thoraxübersichtsaufnahme in speziellen Fällen auch unabhängig von kardiopulmonalen Symptomen sinnvoll sein (z. B. zur Abschätzung einer Trachealverlagerung bei Struma). Der Nutzen fester Altersgrenzen für die routinemäßige Anfertigung einer Thoraxröntgenaufnahme ist wissenschaftlich nicht belegt.

Abb. 2
figure 2

Empfehlungen zur präoperativen Durchführung einer Thoraxröntgen-Aufnahme p.-a. bzw. einer Lungenfunktionsdiagnostik. COPD chronisch obstruktive pulmonale Erkrankung („disease“)

A.3.4 Untersuchungen der Lungenfunktion

An technischen Verfahren zur Evaluation der Lungenfunktion stehen die Messung der arteriellen Sauerstoffsättigung mithilfe der Pulsoxymetrie (in Ruhe bzw. unter Belastung), die Spirometrie bzw. Spiroergometrie, die Body-Plethysmographie sowie die arterielle Blutgasanalytik zur Verfügung. Es besteht ein moderater Zusammenhang zwischen der Inzidenz pathologischer Befunde in der Lungenfunktionsdiagnostik und dem perioperativen Auftreten pulmonaler Komplikationen [11]. So kann die Kenntnis pulmonaler Untersuchungsbefunde nicht nur in der Thoraxchirurgie [25], sondern auch bei pulmonalen Risiko-Patienten mit großen Oberbaucheingriffen [26, 27] zur Senkung der perioperativen Morbidität und Letalität beitragen. Eine präoperative Lungenfunktionsdiagnostik ist somit einerseits bei Patienten mit neu aufgetretenen bzw. Verdacht auf akut symptomatische pulmonale Erkrankungen zur Schweregradeinschätzung und Therapiekontrolle indiziert (Abb. 2). Andererseits sollte eine Lungenfunktionsdiagnostik auch bei Patienten mit großen Oberbaucheingriffen erwogen werden.

A.3.5 (Doppler‑)Echokardiographie

Die (Doppler‑)Echokardiographie in Ruhe erlaubt die direkte Beurteilung von Größe, Geometrie und Funktion der Herzkammern sowie der intrakardialen Strömungsverhältnisse. Häufigste Indikationen präoperativ sind:

  1. a)

    die Beurteilung der rechts- und linksventrikulären Pumpfunktion sowie

  2. b)

    der Ausschluss von Herzvitien und Herzklappendefekten bei Patienten mit Zeichen einer Herzinsuffizienz oder mit pathologischen Herzgeräuschen.

Eine präoperative Echokardiographie wird vor nichtkardiochirurgischen Operationen jedoch nur bei Patienten mit neu aufgetretener Dyspnoe unklarer Genese sowie bei Patienten mit bekannter Herzinsuffizienz und Symptomverschlechterung innerhalb der letzten 12 Monate empfohlen. Dagegen leistet die Echokardiographie bei bereits bekannter, stabiler Herzinsuffizienz keinen entscheidenden Beitrag zur perioperativen Risikoreduktion [28]. Eine stabile Herzinsuffizienz oder eine vermutete bzw. nachgewiesene ischämische Herzerkrankung (KHK) allein stellt daher keine Indikation für eine präoperative Echokardiographie dar. Der Nutzen einer routinemäßigen präoperativen Ruhe-Echokardiographie bei unauffälligen Patienten vor Hochrisikoeingriffen ist unklar [8].

Die häufigsten, perioperativ bedeutsamen Klappenerkrankungen sind die Aortenstenose und die Mitralinsuffizienz. Ob eine Senkung perioperativer Komplikationen resultiert, wenn man Patienten mit einem bislang unbekannten bzw. nichtabgeklärten Herzgeräusch präoperativ echokardiographisch untersucht, ist unklar. Derzeit erscheint es aber sinnvoll, vor Eingriffen mit einem mittleren oder hohen Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen (Tab. 2) bei Patienten mit nicht(vor-)bekannten oder bislang nichtabgeklärten Herzgeräuschen auch bei normaler Belastbarkeit eine Echokardiographie zu erwägen und Rücksprache mit einem Kardiologen zu halten.

A.3.6 Sonographie der Halsgefäße

Eine Reihe von operativen Eingriffen (z. B. Operationen im Kopf-/Halsbereich, Herz-Thorax-Gefäßchirurgie, Hüftoperationen, Notfalloperationen) gehen perioperativ mit einer erhöhten Inzidenz apoplektischer, meist ischämischer Insulte einher. Die intraoperative, auch lagerungsbedingte Hypotension (z. B. im Rahmen halbsitzender Lagerung) gilt als einer der wesentlichen prädisponierenden Faktoren [29, 30]. Die Letalität nach perioperativem Insult ist gegenüber Insulten außerhalb der Klinik verdoppelt. Etablierte Scores zur Abschätzung des perioperativen Schlaganfallrisikos gibt es bislang nicht [8, 29]. Folgendes Vorgehen erscheint jedoch auf dem Boden der verfügbaren Literatur sinnvoll (Abb. 3):

  • Die Indikationen für eine diagnostische oder therapeutische Intervention im Bereich der Aa. carotides unterscheiden sich perioperativ nicht von denjenigen bei Patienten ohne bevorstehenden Eingriff [30, 31].

  • Nach einer zerebralen ischämischen Attacke sollte der Abstand zu einer elektiven Operation mindestens 6 Monate betragen [8, 29].

  • Die präoperative Sonographie der Halsgefäße scheint bei Patienten, die innerhalb der letzten 6 Monate symptomfrei waren, das Risiko eines perioperativen Schlaganfalls nicht zu senken und wird daher nicht empfohlen.

  • Die Ausprägung eines Strömungsgeräusches im Bereich der A. carotis korreliert nicht mit der Schwere einer eventuell vorhandenen Stenose. Gesicherte Empfehlungen zum präoperativen diagnostischen Vorgehen bei Patienten mit Strömungsgeräusch der A. carotis existieren daher nicht [31]. Eine zielgerichtete, insbesondere neurologische Anamnese und Erfassung von vaskulären Risikofaktoren (z. B. pAVK) erscheint bei asymptomatischen Patienten mit Strömungsgeräusch zur Risikoeinschätzung ausreichend zu sein.

  • Patienten, die in den letzten 6 Monaten Symptome hatten, die auf eine Stenose der A. carotis hinweisen, sollten präoperativ einer Diagnostik (meist Sonographie) und einer sich evtl. daraus ergebenden Therapie zugeführt werden [8, 32].

Abb. 3
figure 3

Empfehlungen zur präoperativen Durchführung einer Karotis-Dopplersonographie. TIA transitorische ischämische Attacke

Vormals symptomatische sowie operativ/interventionell versorgte Patienten stehen meist unter einer – in der Regel zeitlich begrenzten – dualen Thrombozytenaggregationshemmung. Diese Prophylaxe sollte – wenn aufgrund des Blutungsrisikos vertretbar – perioperativ nicht unterbrochen werden. Das Vorgehen orientiert sich hierbei – auch in Hinblick auf die Indikation zur Verschiebung der Operation – an der Behandlung von kardialen Patienten unter dualer Thrombozytenaggregationshemmung (s. Kap. C 6) [29, 31].

B Erweiterte kardiale Diagnostik

Bei Patienten mit bekannten oder vermuteten kardiovaskulären Vorerkrankungen kann präoperativ eine differenzierte kardiologische Abklärung erforderlich sein. Die Indikation hierfür ist allerdings wegen des vielfach unklaren Nutzens präoperativer kardiologischer oder herzchirurgischer Interventionen in Hinblick auf die perioperative Morbidität und Letalität streng zu stellen. Die rationale Abschätzung des perioperativen kardialen Risikos sowie die Entscheidung für oder gegen eine erweiterte präoperative Diagnostik basieren dabei auf den in Abschn. A.2.1 genannten Faktoren.

Bei Patienten mit akut symptomatischer Herzerkrankung (z. B. STEMI) muss der Eingriff – mit Ausnahme von Notfällen – verschoben und die kardiale Situation präoperativ abgeklärt und therapiert werden [7]. Grundsätzlich gilt dies auch bei Patienten mit NSTEMI, wobei hier noch eine Risikoabwägung zwischen der Dringlichkeit der Operation und der Dringlichkeit der koronaren Diagnostik und Therapie erfolgen muss. Bei Nachweis einer relevanten myokardialen Ischämie und deutlicher klinischer Beschwerdesymptomatik (CCS III–IV) sollte eine invasive koronarangiographische Diagnostik erfolgen, wenn eine medikamentöse Therapie der myokardialen Ischämie nicht erfolgreich ist.

Patienten mit bekannter KHK oder hohem Ischämie-Risiko sollten vor einem geplanten Hochrisikoeingriff durch ein multidisziplinäres Behandlungsteam aus Chirurg, Anästhesist und Kardiologen evaluiert werden [8]. Das Ausmaß des kardialen Risikos kann die Art des Eingriffs mit determinieren [8].

Die Durchführung nichtinvasiver kardialer BelastungstestsFootnote 3 erscheint nach derzeitiger Kenntnis lediglich sinnvoll (Abb. 4)

  • bei Patienten mit ≥3 klinischen Risikofaktoren und eingeschränkter (<4 MET) bzw. unbekannter Belastbarkeit vor einer Hochrisikooperation [8]

Abb. 4
figure 4

Empfehlung zur präoperativen Durchführung kardialer Belastungstests (nach [8]). MET metabolisches Äquivalent

und kann erwogen werden

  • bei Patienten mit 1–2 klinischen Risikofaktoren und eingeschränkter (<4 MET) bzw. unbekannter Belastbarkeit vor einer Operation mit mittlerem oder hohem kardialen RisikoFootnote 4 [8].

Keine Indikation zur Durchführung einer erweiterten kardialen Diagnostik wird derzeit gesehen

  • bei Patienten vor Operationen mit niedrigem kardialen Risiko (Tab. 2) unabhängig vom Vorliegen kardialer Risikofaktoren [8].

Eine invasive Koronardiagnostik („Herzkatheter“) ist bei Patienten vor nichtkardialen Operationen nur sehr selten zur Abschätzung des perioperativen Risikos indiziert. Grundsätzlich entspricht dabei die Indikation derjenigen für die Durchführung einer Koronarangiographie bzw. einer PCI unabhängig von einer bevorstehenden Operation.

Eine präoperative Koronarangiographie wird derzeit nur bei Patienten mit nachgewiesener myokardialer Ischämie und bei Patienten mit medikamentös therapierefraktärem Thoraxschmerz empfohlen, sofern der Eingriff verschiebbar ist [8].

Allerdings verbesserte die routinemäßige Koronarangiographie und ggf. nachfolgende Revaskularisierung bei Patienten vor großen arteriellen Gefäßeingriffen mit 2 oder mehr kardialen Risikofaktoren in einer – bislang unbestätigten – Studie das perioperative Outcome [33]. In einer weiteren Untersuchung wiesen klinisch stabile Patienten (normales EKG, normales Echo, kein Hinweis auf KHK), die vor Karotis-Thrombendarteriektomie (TEA) routinemäßig koronarangiographiert wurden, in 31 % eine signifikante Koronarstenose auf [34]. Die anschließende Revaskularisierung reduzierte die Inzidenz schwerer kardialer Komplikationen signifikant von 4,2 % auf 0 %. Möglicherweise profitieren somit Patienten mit hohem kardialem Risiko vor großer Gefäßchirurgie bzw. Patienten vor Karotis-Thrombendarteriektomie von einem primär invasiven diagnostischen und therapeutischen Vorgehen [8]. Zu Indikation und Stellenwert von Kardio-MRT und Kardio-CT im Rahmen der präoperativen Evaluation liegen bislang keine Untersuchungen vor.

C Präoperativer Umgang mit der Dauermedikation

Die Erfassung der patienteneigenen Dauermedikation ist wesentlicher Bestandteil der präoperativen Evaluation. Ob es medizinisch sinnvoll ist, eine präoperativ bestehende Medikation perioperativ weiterzuführen oder bestimmte Medikamente vor einer Operation neu anzusetzen, ist vielfach nur unzureichend untersucht. Die folgenden Empfehlungen sind daher nur ein Anhalt und bedürfen der kritischen Überprüfung und ggf. Ergänzung in jedem Einzelfall.

C.1 Kreislaufwirksame Pharmaka

Eine antianginöse, antihypertensive oder antiarrhythmische Therapie sollte in aller Regel perioperativ fortgeführt werden. Dies gilt besonders für β-Rezeptor-Antagonisten und Nitrate, da hier ein Absetzen der Therapie eine Myokardischämie mit Myokardinfarkt auslösen kann.

Die Indikationen für einen präoperativen Neubeginn einer Therapie mit β‑Rezeptor-Antagonisten werden kontrovers diskutiert. Die präoperative Gabe eines β‑Rezeptor-Antagonisten kann erwogen werden

  • bei allen Patienten mit 2 oder mehr kardialen Risikofaktoren nach Lee (RCRI) oder einer ASA-Klasse von ≥3, die sich einem kardialen Hochrisikoeingriff unterziehen,

sowie

  • unabhängig von der Art des Eingriffs bei allen Patienten mit nachgewiesener KHK und dokumentierter Myokardischämie unter Belastung [8].

Von einer präoperativen Neueinstellung wird abgeraten, wenn eine Dosistitration des β‑Rezeptor-Antagonisten nach Herzfrequenz und Blutdruck mit ausreichendem Abstand zur Operation nicht gewährleistet oder lediglich eine Operation mit niedrigem kardialen Risiko geplant ist [8].

Ob Ca 2+ -Antagonisten das perioperative „Outcome“ verbessern, ist unklar. Im Allgemeinen wird eine bestehende Dauertherapie perioperativ weitergeführt. Demgegenüber bringt die Fortführung einer Therapie mit Diuretika am Operationstag selten Vorteile, birgt aber das Risiko der perioperativen Hypovolämie und Hypokaliämie. Eine Dauertherapie mit Diuretika sollte jedoch postoperativ rasch weitergeführt werden, insbesondere bei Patienten mit Herzinsuffizienz [19].

Bei Patienten, die ACE-Hemmer (ACEI) oder Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten (ARB) noch am Operationstag einnehmen, treten perioperativ gehäuft Hypotensionen auf, die durch konventionelle Vasokonstriktoren oft nur unzureichend therapierbar sind und gelegentlich die Gabe von Vasopressinanaloga erfordern. Studien belegen den Zusammenhang zwischen Ausmaß bzw. Zeitdauer perioperativer Hypotonien und dem Auftreten postoperativer (v. a. kardialer) Komplikationen. Bei Eingriffen mit hohen Volumenverschiebungen sowie bei Patienten mit bestehender bzw. geplanter Sympathikolyse (z. B. durch β‑Blocker oder PDA) wird daher auf eine Medikation mit ACEI oder ARB am Operationstag meist verzichtet. Andererseits kann ein Absetzen der Therapie eine perioperative Hypertension zur Folge haben und insbesondere bei Patienten mit linksventrikulärer Dysfunktion die kardiale Situation verschlechtern. So kann bei Patienten mit vorbestehender Herzinsuffizienz bzw. linksventrikulärer Dysfunktion sogar der Neubeginn einer Therapie mit ACEI bzw. ARB eine Woche präoperativ erwogen werden [8]. Wird ein ARB präoperativ abgesetzt, sollte die Medikation postoperativ rasch weitergeführt werden, da andernfalls die 30-Tage-Letalität ansteigt [35].

Digitalis-Glykoside zur Therapie einer chronischen Herzinsuffizienz werden wegen ihrer geringen therapeutischen Breite, schlechten Steuerbarkeit und arrhythmogenen Potenz meist präoperativ abgesetzt. Angesichts der langen Halbwertszeit der Präparate ist der Nutzen eines kurzfristigen Absetzens jedoch unsicher. Patienten mit normofrequenter absoluter Arrhythmie sollten die Medikamente weitererhalten, da hier das Absetzen perioperativ Tachyarrhythmien auslösen kann.

C.2 Antidiabetika

Zur Behandlung eines Typ-2-Diabetes mellitus werden primär orale Antidiabetika eingesetzt. Hierzu zählen Sulfonylharnstoffe (z. B. Glibenclamid), Biganuide (Metformin) und Glinide (z. B. Repaglinid) ebenso wie Glucosidasehemmer (z. B. Acarbose), Glitazone (z. B. Pioglitazon) und Gliptine (z. B. Sitagliptin). Sulfonylharnstoffe verhindern im Tierexperiment die durch Ischämie bzw. volatile Anästhetika induzierte, insbesondere myokardiale Präkonditionierung und vergrößern so das Nekroseareal des Myokards nach Ischämie. Ob ähnliche Effekte auch beim Menschen auftreten und Sulfonylharnstoffe daher präoperativ abgesetzt werden sollten, ist bislang jedoch unklar. Glitazone erhöhen die Sensitivität verschiedener Gewebe gegenüber Insulin und werden zunehmend bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 zur Glucosekontrolle eingesetzt. Kasuistisch wurde über eine akute Herzinsuffizienz im Zusammenhang mit Glitazonen berichtet. Die Relevanz dieser Befunde für das perioperative Management ist unklar. Die Wirkung von Gliptin entspricht der Wirkung des körpereigenen Hormons Inkretin und senkt über eine vermehrte Insulinfreisetzung aus den β‑Zellen und eine erhöhte Glukagonsynthese in den α‑Zellen des Pankreas den Blutzucker. Hypoglykämien treten bei einer Monotherapie mit Gliptinen in der Regel nicht auf. Metformin kann bei Kumulation (z. B. Niereninsuffizienz) in seltenen Fällen zu einer lebensbedrohlichen Laktacidose führen, sodass in der Fachinformation ein Absetzen 48 h vor dem Eingriff empfohlen wird. Im direkt perioperativen Bereich scheint das Risiko der Laktacidose jedoch äußerst gering zu sein [36]. Nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung ist daher auch eine Weiterführung der Medikation bis zum Vorabend der Operation zu rechtfertigen. Die britischen „National Health Services“ (NHS) sowie die „Society of Ambulatory Anaesthesia“ (SAMBA) empfehlen sogar die Fortführung der Metformintherapie bei Nierengesunden, u. a. wegen Hinweisen auf ein verbessertes Outcome bei diesem Vorgehen [37]. Bei geplanter intravenöser Gabe von Kontrastmittel sollte allerdings die Metformingabe 24–48 h vor dem Eingriff pausiert werden [38]. Insgesamt sollte die Entscheidung über das Fortführen oder Absetzen oraler Antidiabetika von der Kontrolle des Blutzuckers und weniger von deren potenziellen Nebenwirkungen abhängig gemacht werden.

Insuline stellen die Standardtherapie bei Diabetes Typ 1 sowie bei fortgeschrittenem Diabetes Typ 2 mit Wirkungslosigkeit oraler Antidiabetika dar. Bei der Insulintherapie wird eine konventionelle Insulintherapie von einer intensivierten Insulintherapie (mit einer Kombination aus einem langwirkendem „Basalinsulin“ und einem kurzwirksamen Normalinsulin zu den Mahlzeiten) und einer Insulinpumpentherapie unterschieden. Durch die präoperative Nüchternheit und des je nach Art und Größe des Eingriffes bestehenden Postaggressionsstoffwechsels ergibt sich bei fortdauernder Insulintherapie das Risiko einer Hypoglykämie. Bei kurzdauernden Eingriffen und präoperativ bestehender, intensivierter Insulintherapie sollte am Morgen des Operationstages lediglich die Basisinsulintherapie ohne zusätzliche Bolusgabe erfolgen. Bei konventioneller Insulintherapie sollten dagegen im Rahmen einer kurzdauernden Operation nur 50 % der üblichen Insulindosis im Rahmen eines Verzögerungsinsulins gegeben werden. Postoperativ kann dabei die übliche Insulintherapie fortgesetzt werden. Engmaschige Kontrollen und ggf. Korrekturen des Blutzuckers sind während des gesamten perioperativen Verlaufs unerlässlich.

C.3 HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren (Statine)

Die als Lipidsenker eingesetzten HMG-Co-A-Reduktase-Inhibitoren (Statine) stabilisieren vulnerable Plaques, wirken antiinflammatorisch, hemmen die Thrombusbildung und können die Inzidenz von perioperativen Ischämien, (Re‑)Infarkten und Todesfällen bei Patienten mit koronarem Risiko senken [39, 40]. Eine Dauertherapie mit Statinen sollte daher perioperativ nicht unterbrochen werden. Bei gefäßchirurgischen Patienten ohne bisherige Medikation mit Statinen wird empfohlen, mindestens 2 Wochen präoperativ aktiv mit einer Prophylaxe zu beginnen [8].

C.4 Vitamin-K-Antagonisten

Patienten mit mechanischen Herzklappen sind obligat, Patienten mit biologischen Herzklappen meist noch in den ersten 3 Monaten nach Implantation mit Vitamin-K-Antagonisten (meist Phenprocoumon) antikoaguliert. Je nach Klappentyp und -lokalisation wird eine INR von 2,0–3,5 angestrebt. Weitere wichtige klinische Indikationen für die Gabe von Vitamin-K-Antagonisten sind die postthrombotische Therapie sowie das Vorhofflimmern.

Das Risiko für Thromboembolien bei perioperativer Unterbrechung der Antikoagulation muss in jedem Einzelfall gegen das perioperative Blutungsrisiko abgewogen werden. Im Falle eines Absetzens erfolgt der Therapiestopp 3 bis 5 Tage (bei Phenprocoumon besser 5 bis 8 Tage) präoperativ unter täglicher Kontrolle des INR (Ziel für Operation: <1,5). Das – lange Zeit empfohlene – perioperative „Bridging“ mittels NMH reduzierte bei Patienten mit Vorhofflimmern nicht die Inzidenz arterieller Thromboembolien, erhöhte aber das Risiko für schwere Blutungen (von 1,3 auf 3,2 %) [41].

In Übereinstimmung hiermit fanden sich in einer prospektiven Registerstudie ebenfalls eine erhöhte Blutungsrate, ein schlechteres kardiales Outcome sowie eine erhöhte Letalität bei Patienten mit „Bridging“ [42]. Die Indikation für ein „Bridging“ mit NMH nach Absetzen eines Vit.-K-Antagonisten ist daher zunehmend kritisch zu stellen. Da Patienten mit mechanischen Herzklappen in der Untersuchung von Douketis et al. ausgeschlossen waren [41], kann für dieses Kollektiv derzeit keine endgültige Aussage getroffen werden. Bei Patienten mit hohem Thromboembolierisiko (CHA2DS2-VASc Score von 4 oder mehr, mechanische Klappen, frisch implantierte biologische Herzklappen, Mitralklappenrekonstruktion <3 Monate, Thrombophilie) wird ein Bridging mit NMH oder UFH nach wie vor meist als indiziert angesehen. Die letzte Gabe von NMH sollte mindestens 12 h (bei Störungen der Nierenfunktion entsprechend länger) vor Operation erfolgt sein. Die Entscheidung zur perioperativen venösen Thromboembolieprophylaxe durch UFH oder NMH bleibt von diesen Überlegungen unberührt [18].

C.5 Direkte orale Antikoagulanzien (NOAK)

Die Akronyme NOAK (neue orale Antikoagulanzien), NOAC („novel oral anticoagulants“) und DOAC („directly acting oral anticoagulants“) werden synonym genutzt für eine seit etwa 5 bis 10 Jahren verfügbare Klasse von oral/enteral applizierbaren Faktor-IIa- oder Faktor-Xa-Antagonisten. Die derzeitigen Indikationen sind die Prophylaxe von Schlaganfällen und systemischen Embolien bei nichtvalvulärem Vorhofflimmern, die Therapie und Sekundär-Prophylaxe der tiefen Venenthrombose und der Lungenembolie sowie die Thromboembolie-Prophylaxe bei elektiver Hüft- und Kniegelenkchirurgie.

NOAK (HWZ 9–14 h) werden mit Ausnahme von Dabigatran (überwiegend renal) auf verschiedenen Wegen eliminiert. Im Kontext elektiver Operationen bei Erwachsenen mit mittlerem Blutungsrisiko sollten mindestens die nachfolgenden Abklingzeiten (=mind. 2–3 HWZ [8]) nach Absetzen der jeweiligen Substanz abgewartet werden (Tab. 9; [43, 44]).

Tab. 9 NOAK-Abklingzeiten

Die Abklingzeit ist dabei von der Nierenfunktion abhängig. In der klinischen Routine stellen 48 h ein sicheres Intervall dar, außer bei Gabe von Dabigatran und gleichzeitigem Vorliegen einer Niereninsuffizienz. Im Notfall kann die Gabe von 25–50 IE/kgKG PPSB erwogen werden. Mit Idarucizumab ist ein Antidot gegen Dabigatran verfügbar, ein Antidot gegen die Faktor-Xa-Antagonisten befindet sich in klinischer Prüfung.

Ob ein NOAK präoperativ belassen, gemäß Abklingzeit mit ausreichendem Abstand zur Operation abgesetzt (Cave: zu frühes Absetzen vermeiden!) oder aber auf Heparin umgestellt werden sollte, hängt von der Art der Operation und deren Blutungsrisiko sowie von der ursprünglichen Indikation für die Antikoagulation ab. Die Entscheidung hierüber sollte in enger Absprache zwischen den beteiligten Fachdisziplinen (i. d. R. Chirurgie, Anästhesie und Innere Medizin) fallen.

Postoperativ soll die gerinnungshemmende Therapie so früh wie möglich wieder begonnen werden, wobei das aktuelle Blutungsrisiko zu berücksichtigen ist. Bei Patienten mit Vorhofflimmern bzw. Thrombose/Embolie kann es erforderlich sein, postoperativ einige Tage mit einem Heparin (UFH oder NMH) oder mit Fondaparinux zu überbrücken, bis wieder eine Umstellung auf das NOAK möglich ist. Die Umstellung erfolgt dann im Gegensatz zur Handhabung bei Vitamin-K-Antagonisten ohne „Überlappung“, also mit Einnahme der ersten Tablette 12 h nach niedermolekularem Heparin oder 24 h nach Fondaparinux.

Spezifische Vorgaben zum Umgang mit NOAK (und Thrombozytenaggregationshemmern) existieren für die Durchführung rückenmarknaher Anästhesieverfahren und sind zu beachten [45].

C.6 Thrombozyten-Aggregationshemmer

Patienten mit KHK erhalten meist eine Dauermedikation mit Acetylsalicylsäure (ASS) und vielfach auch mit einem P2Y12-Antagonisten (z. B. Clopidogrel). Für Patienten nach operativer bzw. interventioneller koronarer Revaskularisierung (z. B. Stent), aber auch für Patienten mit akutem Koronarsyndrom ist der Nutzen einer zeitlich begrenzten (s. unten), dualen Thrombozytenaggregationshemmung belegt. Bei diesen Hochrisikopatienten tritt das perioperative Blutungsrisiko gegenüber dem myokardialen Ischämierisiko im Falle eines Absetzens der Medikation in den Hintergrund (Übersicht bei [46]).

Nach derzeitiger Kenntnis sollen P2Y12-Antagonisten daher nur vor großen Operationen mit hohem Blutungsrisiko 5 Tage (Clopidogrel/Ticagrelor) bzw. 7 Tage (Prasugrel) präoperativ abgesetzt werden. Bei hohem Risiko für ein myokardiales ischämisches Ereignis nach Stentimplantation muss diese Entscheidung individuell mit dem behandelnden Kardiologen abgestimmt werden. Zwingend ist ein Absetzen vor Eingriffen in geschlossenen Höhlen (Augenhinterkammer, intraspinale und intrazerebrale Eingriffe) sowie vor rückenmarknaher Regionalanästhesie. Auch die perioperative Therapie mit Acetylsalicylsäure muss individuell erfolgen. Bei koronaren Hochrisikopatienten (rezidivierende Angina pectoris, Zustand nach akutem Koronarsyndrom, Zustand nach Koronarintervention mit bare metal stent (BMS) oder drug eluting stent (DES)) sollte eine Medikation mit ASS (z. B. ASS 100 mg/Tag) nur bei Vorliegen absoluter Kontraindikationen (z. B. neurochirurgische Operation) perioperativ unterbrochen werden (Übersicht bei [46]).

Patienten haben sowohl nach isolierter PCI als auch nach Stentimplantation infolge des Eingriffs ein vulnerables, hoch thrombogenes Gefäßsystem. Derzeit gilt daher, dass Patienten mit koronarer Herzerkrankung lebenslang mit ASS (75–162 mg) behandelt werden. Nach Implantation eines BMS bei stabiler KHK muss zusätzlich für mindestens 4 Wochen eine P2Y12-Inhibition mit Clopidogrel (75 mg/Tag) erfolgen. Bei Implantation eines DES verlängert sich der Zeitraum für die obligate duale Plättchenaggregationshemmung auf 6 Monate (DES der neueren Generation) bzw. 12 Monate (DES der älteren Generation) [8]. Bei alleiniger Ballonangioplastie ohne Stentimplantation wird eine duale Plättchenhemmung mit Clopidogrel für 2 bis 4 Wochen empfohlen (Abb. 5; [47, 48]).

Abb. 5
figure 5

Empfehlung zum zeitlichen Management von elektiven Eingriffen bei Patienten mit Koronarstents in Abhängigkeit von Stenttyp und Zeitpunkt der Implantation. BMS Bare Metal Stent, DES Drug Eluting Stent. (Nach [8, 47, 48])

Unabhängig vom implantierten Stenttyp muss bei allen Patienten nach akutem Koronarsyndrom (ACS) eine duale Thrombozytenaggregationshemmung mit ASS plus Ticagrelor bzw. Prasugrel (bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko im Einzelfall ggf. auch Clopidogrel) erfolgen. Eine Pausierung der P2Y12-Inhibition innerhalb der ersten 12 Monate muss bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom individuell diskutiert werden.

Operative Eingriffe sind in den ersten Wochen nach koronarer Intervention besonders komplikationsreich und mit einer hohen Letalität behaftet. Wie lange jedoch das Intervall zwischen Anlage eines Stents und einer Operation unter dem Aspekt der optimalen Sicherheit für den Patienten sein sollte, ist derzeit unklar. Die ESC/ESA-Leitlinien 2014 schlagen vor, elektive Eingriffe nach PCI ohne Stent frühestens 14 Tage, nach Einlage eines Metallstents (BMS) frühestens 4 Wochen (besser 3 Monate) und nach Einlage eines „drug eluting stent“ (DES) – in Abhängigkeit von der Art des DES (Erst-, Zweit-, Drittgeneration) – frühestens 3 bis 12 Monate nach der koronaren Intervention durchzuführen ([8]; Abb. 5).

C.7 Psychopharmaka

Die Dauermedikation von Patienten mit Psychosen oder neurologischen Erkrankungen wird im Regelfall nicht unterbrochen. Allerdings bestehen bei einigen Psychopharmaka Arzneimittelwechselwirkungen, die perioperativ beachtet werden müssen.

Trizyklische Antidepressiva hemmen die Wiederaufnahme von Dopamin, Noradrenalin und Serotonin im ZNS und in den peripheren Geweben. Die chronische Applikation unterhält die Entleerung der zentralen Katecholaminspeicher und erhöht den adrenergen Tonus. Die Wirkung direkter Sympathomimetika ist unter einer Dauertherapie mit trizyklischen Antidepressiva erhöht, die von indirekten abgeschwächt. Dies muss besonders bei der Verwendung von Lokalanästhetika mit Adrenalinzusatz bedacht werden. Trizyklische Antidepressiva potenzieren zudem die Wirkung von Hypnotika, Opioiden sowie Inhalationsanästhetika.

Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) hemmen die präsynaptische Wiederaufnahme von Serotonin im synaptischen Spalt. Das präoperative Absetzen von SSRI kann zu Entzugserscheinungen führen. Andererseits kann es bei gleichzeitiger Gabe von Medikamenten, die die Wiederaufnahme von Serotonin hemmen oder serotomimetisch wirken (z. B. Pethidin, Pentazocin, Tramadol, MAO-Hemmer), zum Serotonin-Syndrom mit Hyperthermie, vegetativer Instabilität und Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma kommen.

Bei den Monoaminooxidase(MAO)-Hemmern existieren drei Gruppen: Substanzen der 1. Generation (Isocarboxazid, Tranylcypromin, Phenelzin) wirken nicht selektiv und irreversibel auf MAO-A und MAO-B. Wirkstoffe der 2. Generation wirken selektiv und irreversibel (Clorgylin auf MAO-A und Deprenyl auf MAO B), Stoffe der 3. Generation selektiv und reversibel (Moclobemid auf MAO-A, RO-19-6327 auf MAO-B). MAO-Hemmer können mit Medikamenten, die im perioperativen Bereich eingesetzt werden, interagieren. So sind beim Einsatz indirekt wirkender Sympathomimetika über die Freisetzung von Noradrenalin schwer beherrschbare hypertensive Krisen beschrieben. Ähnlich schwerwiegend ist die exzitatorische Reaktion nach Applikation von Pethidin, Tramadol und Dextromethorphan, die durch eine exzessive serotoninerge Aktivität gekennzeichnet ist.

Die Schwere dieser Vorfälle hat früher zum obligaten Absetzen von MAO-Hemmern vor elektiven Operationen geführt. Dies galt vor allem für die irreversiblen und nichtselektiven MAO-Hemmer. Die Erholungszeit der MAO beträgt etwa 2 Wochen. Zum einen bedeutet dieses Vorgehen für die Patienten einen möglicherweise gefährlichen Rückfall bzgl. ihrer psychiatrischen Grunderkrankung, zum anderen kann in Notfallsituationen nicht abgewartet werden. Bei Beachtung der absoluten Kontraindikationen für Pethidin und Tramadol sowie Vermeidung von Hypoxie, Hyperkarbie und arterieller Hypotonie und dem Verzicht auf indirekte Sympathomimetika (Ephedrin) wird ein Absetzen von MAO-Hemmern präoperativ nicht mehr als erforderlich angesehen. Da heute aber reversible und selektive MAO-Hemmer zur Verfügung stehen, sollten bei geplanten Eingriffen irreversible MAO-Hemmer über den Zeitraum von 2 Wochen durch reversible ausgetauscht werden, deren Wirkdauer nur 24 h beträgt. Es liegen bislang keine Fallberichte über perioperative Komplikationen bei Patienten mit reversiblen MAO-Hemmern vor.

Lithium wird hauptsächlich zur Behandlung bipolarer affektiver Störungen eingesetzt. Aufgrund seiner engen therapeutischen Breite und ähnlicher Verstoffwechslung wie Natrium wird ein engmaschiges Monitoring des Lithiumspiegels auch perioperativ empfohlen. Alternativ wird ein perioperatives Absetzen 72 h vor einem operativen Eingriff diskutiert, v. a. da keine Entzugssymptomatik zu erwarten ist, das Risiko einer Intoxikation aber im Falle einer perioperativen hämodynamischen Instabilität oder eingeschränkten Nierenfunktion (Lithium wird renal ausgeschieden) hoch ist. Postoperativ sollte die Therapie bei stabiler Elektrolytsituation rasch wieder begonnen werden.

Neuroleptika sind eine sehr heterogene Gruppe von Psychopharmaka mit sedierenden und antipsychotischen Eigenschaften. Sie werden v. a. zur Therapie von Wahnvorstellungen und Halluzinationen bei Schizophrenie und bipolaren Störungen eingesetzt. Neuroleptika sollten aufgrund des Risikos einer Rückkehr psychotischer Episoden und dem vermehrten Auftreten von postoperativer Verwirrung auch perioperativ weitereingenommen werden.

Antiepileptika sollten perioperativ fortgeführt werden. Der Bedarf an Opioiden und Relaxanzien dieser Patienten kann erhöht sein.

Methylphenidat gehört zu den Derivaten des Amphetamins und wird bei Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sowie bei Narkolepsie eingesetzt. Methylphenidat kann den Narkosebedarf steigern. Wegen seiner kurzen Halbwertszeit (2–4 h in unretardierter Form, bis zu 12 h in retardierter Tablettenform) kann Methylphenidat bis zur Prämedikation weiterverabreicht werden.

C.8 Anti-Parkinson-Medikamente

Die Symptomatik bei Patienten mit Morbus Parkinson wird durch einen Mangel an Dopamin im Bereich der Substantia nigra ausgelöst. Als Dauertherapie bei Patienten mit Parkinson-Syndrom kommen daher vor allem Substanzen zum Einsatz, die die Konzentration bzw. Wirkung von Dopamin im Gehirn erhöhen, z. B. durch exogene Zufuhr von Dopamin (L-Dopa) und Dopaminagonisten (z. B. Bromocriptin), aber auch durch Verlangsamung des Abbaus von endogenem Dopamin durch MAO-B-Inhibitoren (z. B. Selegilin) bzw. Erhöhung seiner Freisetzung durch NMDA-Antagonisten (z. B. Amantadin). L‑Dopa ist dabei als Monotherapie allen anderen Anti-Parkinson-Medikamenten in seiner Wirkung überlegen und wird daher am häufigsten eingesetzt. Die Halbwertszeit von L‑Dopa ist kurz, und eine Unterbrechung der Therapie von 6–12 h kann eine schwere Muskelrigidität oder eine Parkinson-Krise mit vital bedrohlicher Symptomatik wie Schluck- und Ventilationsstörungen zur Folge haben. Daher sollte die orale Medikation mit L‑Dopa, aber auch allen anderen Anti-Parkinson-Medikamenten bis zum Morgen der Operation beibehalten und unmittelbar postoperativ fortgeführt werden. In denjenigen Fällen, in denen die Medikation postoperativ nicht peroral eingenommen werden kann, ist in Rücksprache mit einem Neurologen die präoperative Umstellung auf einen transdermal resorbierbaren Dopaminagonisten (z. B. Rotigotin-Pflaster) zu erwägen.

Dopamin-Antagonisten (z. B. Metoclopramid) sowie Medikamente mit dem Risiko extrapyramidal-motorischer Nebenwirkungen (z. B. DHB, HT3-Antagonisten) sollten vermieden werden. Im Falle einer akinetischen Parkinson-Krise wird die titrierte intravenöse Gabe von Amantadin (z. B. 1‑ bis 2‑mal 200 mg i. v. über je 3 h) empfohlen.

C.9 Kortikosteroide

Patienten unter Steroiddauermedikation (>5 Tage) unterliegen unabhängig von der Dosis (über oder unter der Cushing-Schwelle) und unabhängig von der Applikationsart (systemisch oder topisch) dem Risiko einer inadäquaten Cortisolproduktion [49]. Kasuistische Berichte postulieren einen – letztlich nicht sicher belegten – Zusammenhang zwischen einem Cortisolmangel und einer intraoperativen Hypotension bzw. einem Schockgeschehen [49, 50]. Daher sollten Patienten grundsätzlich die Steroiddauermedikation in der perioperativen Phase nicht unterbrechen, sondern am Morgen der Operation die übliche Steroidmedikation zu sich nehmen.

Unklar ist, ob Patienten mit einer Steroiddauermedikation unterhalb der Cushing-Schwelle von einer zusätzlichen perioperativen Steroid-Gabe profitieren [51]. Wegen der individuell sehr unterschiedlichen Reaktion auf das operative Trauma und die unterschiedliche Suppression der endogenen Cortisolsynthese durch exogene Steroide kann auf der Basis von Expertenmeinung folgendes Vorgehen erwogen werden:

  • Kleine operative Eingriffe (z. B. endoskopische Operationen, Herniotomie, Schilddrüsenresektionen) → Gabe von 25 mg Hydrocortison zu Beginn der Operation.

  • Mittlere Eingriffe (z. B. Abdominalchirurgie) → Gabe von 100 mg Hydrocortison über 24 h, am nächsten Tag Weiterführung der üblichen Steroidmedikation.

  • Große operative Eingriffe mit Gefahr eines postoperativen SIRS → Gabe von 100 mg Hydrocortison über 24 h (z. B. 4 mg/h) am Operationstag, am Folgetag 50 mg über 24 h und am 3. postoperativen Tag 25 mg Hydrocortison (auch peroral möglich).

D Schlussbemerkung

Die hier vorgelegten Konzepte zur präoperativen Evaluierung von erwachsenen Patienten vor elektiven, nicht herz-thoraxchirurgischen Operationen stellen fachübergreifende Empfehlungen dar, die ein strukturiertes und gemeinsames Vorgehen ermöglichen und die Qualität der Patientenbehandlung verbessern sollen. Ihr Ziel ist es, durch transparente und verbindliche Absprachen eine hohe Patientenorientierung unter Vermeidung unnötiger Voruntersuchungen zu gewährleisten, präoperative Untersuchungsabläufe zu verkürzen sowie letztlich Kosten zu reduzieren. Dies bedeutet jedoch auch, dass für einzelne Patienten individuelle Konzepte erstellt werden müssen.

Die vorliegenden gemeinsamen Empfehlungen von DGAI, DGCH sowie DGIM spiegeln den gegenwärtigen Kenntnisstand, aber auch die Meinungen von Experten wider, da nicht für jede Fragestellung wissenschaftliche Evidenz besteht. Daher wird eine regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung der Empfehlungen erfolgen, sobald sich gesicherte neue Erkenntnisse ergeben.