Viele der strategischen Programmoptionen zur nachhaltigen Weiterentwicklung der Gesundheitsförderung in Deutschland [16, S. 211 f] werden durch das neue Präventionsgesetz weitgehend berücksichtigt. Dies geschieht z. B. durch die Schaffung intersektoraler Kooperationen (Einrichtung der nationalen Präventionskonferenz und einer vergleichbaren Steuerung auf Länderebene) als Steuergremien für Gesundheitsförderung und Prävention, die Absicherung der finanziellen und rechtlichen Basis für Gesundheitsförderung einschließlich der Regelung der Beteiligung der gesetzlichen Krankenversicherung an der Gemeinschaftsaufgabe der Gesundheitsförderung und Prävention oder die akteursspezifische Programmentwicklung in den Settings über die Krankenkassen sowie weitere zuständige Träger.

Gleichzeitig wurden mit dem Präventionsgesetz die Grundlagen für eine zielgerichtete Zusammenarbeit der Sozialversicherungsträger und weiterer gesundheitspolitischer Akteure geschaffen („nationale Präventionsstrategie“).

Der Gesetzgeber regelt die Ziele der primären Prävention und Gesundheitsförderung neu und legt strategische Handlungsfelder fest. Als primäre Prävention wird die Verhinderung bzw. Verminderung von Krankheitsrisiken definiert. Gesundheitsförderung ist definiert als die Förderung des selbstbestimmten gesundheitsorientierten Handelns der Versicherten. Übergeordnetes Ziel der primären Prävention und Gesundheitsförderung ist die Verminderung sozial bedingter sowie geschlechtsbezogener Ungleichheit von Gesundheitschancen. Dies soll sich in der Konkretisierung der Ziele, Handlungsfelder und Kriterien zur Erbringung von Leistungen widerspiegeln.

Im weiteren Verlauf dieses Beitrags soll herausgearbeitet werden, welche Chancen und Herausforderung sich aus der Gesetzesnovellierung für die betriebliche Gesundheitsförderung und Prävention ergeben. Dabei argumentieren wir, dass trotz aller formulierten Kritik an der Novellierung ein ganzheitlicher und integrativer Ansatz seitens des Gesetzgebers verfolgt wird, der an dem Grundverständnis des Settingansatzes anknüpft. Vor diesem Hintergrund werden Handlungsfelder und Impulse für die betriebliche Gesundheitsförderung und Prävention vorgestellt: systematische Integration und Weiterentwicklung der Leistungen der Gesundheitsförderung und Prävention, die dafür notwendige Evaluation, Aufbau von Strukturen und Entwicklung von Kooperationsformen. Last but not least möchten wir auf eine wichtige Ergänzung der Ziele hinweisen, die ebenfalls Anpassungen im Vorgehen verlangt: die Reduktion geschlechtsbezogener Ungleichheit von Gesundheitschancen.

Settingansatz als Grundverständnis

Zentral für die übergeordnete Zielsetzung der Verminderung sozial bedingter und geschlechtsbezogener Ungleichheit von Gesundheitschancen ist der durch die WHO eingeführte und definierte Settingansatz. Gesundheitsförderung im Sinne der Ottawa-Charta (1986) und der Erklärung von Jakarta (1997) basiert konzeptionell auf der Gestaltung der Wohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen. Die Menschen sollen dazu befähigt werden, Einfluss auf die Determinanten zu nehmen, die ihre Gesundheitschancen beeinflussen. Essenzielle Prinzipien sind Empowerment und die Fokussierung auf strukturelle Veränderungen der Lebens-, Entwicklungs-, Lern- und Arbeitsbedingungen. Der Begriff Setting wird im Gesetz nicht aufgegriffen, stattdessen spricht der Gesetzgeber von Gesundheitsförderung und Prävention in den Lebenswelten.

Die Leistungen, die gemäß § 20 Abs. 4 SGB V von den Krankenkassen zu erbringen sind, werden differenziert in Leistungen zur verhaltensbezogenen Prävention nach Abs. 5, Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten für in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte nach § 20a und Leistungen zur Gesundheitsförderung in Betrieben (betriebliche Gesundheitsförderung).

Gemäß der Formulierung „in“ Lebenswelten bzw. „in“ Betrieben zielt das Gesetz auf den ersten Blick darauf ab, die Lebenswelten/den Betrieb lediglich als Zugangswege zu unterschiedlichen Zielgruppen zu nutzen. Im Vordergrund stehen dabei die verhaltensbezogene Prävention sowie eine auf Individuen ausgerichtete Gesundheitsförderung. So sollen z. B. durch die Stärkung des Impfschutzes und die gesetzliche Verankerung einer Präventionsempfehlung durch (Betriebs-)Ärzte, Personen mit einem erhöhten gesundheitlichen Risiko (erhöhten Belastungen) früher erreicht und mit entsprechenden Angeboten zielgerichteter als bisher unterstützt werden. Die Gestaltung der Strukturen der Lebenswelt bzw. des Betriebs, d. h. eine verhältnisbezogene Prävention, treten bei dieser oberflächlichen Betrachtung in den Hintergrund. Der Auftrag, gesundheitsfördernde Strukturen aufzubauen, liefe so Gefahr, auf eine medizinische und pflegerische Versorgungsstruktur sowie auf personenbezogene Angebote zum gesundheitsorientierten Verhalten reduziert zu werden. Es gibt demgegenüber Anhaltspunkte, den gesetzlichen Auftrag im Sinne des Settingansatzes auszulegen. Dies wird im Folgenden entlang der durchgängig zusammenhängenden Verwendung des Begriffspaars Gesundheitsförderung und Prävention sowie der von dem Gesetzgeber geforderten Verzahnung von Gesundheitsförderung mit dem Arbeits- und Gesundheitsschutz bzw. der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) erläutert.

Traumpaar Gesundheitsförderung und Prävention

Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen definiert Prävention grundsätzlich wie folgt:

Prävention im Sinne einer generellen Vermeidung eines schlechteren Zustandes umfasst daher alle zielgerichteten Maßnahmen und Aktivitäten, die eine bestimmte gesundheitliche Schädigung verhindern, weniger wahrscheinlich machen oder verzögern [21, S. 27].

Kaba-Schönstein [16, S. 203 f] hat auf die schwierige Abgrenzung der Begriffe Prävention und Gesundheitsförderung hingewiesen, die im Alltag häufig synonym verwendet werden. Wird Gesundheitsförderung weit definiert, subsummiert man unter diesem Globalziel alle nicht therapeutischen Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit – inklusive aller präventiven und rehabilitativen Maßnahmen.

Engere Definitionen weisen bei der Gesundheitsförderung auf die salutogene Orientierung und die Orientierung an den Potenzialen und Ressourcen sowie auf die Betonung der Selbstbestimmung der Menschen hin. Sie sollen dazu befähigt werden, auf die Bedingungen ihrer Gesundheit Einfluss zu nehmen und entsprechend in Veränderungsprozessen beteiligt werden. Nach diesem Verständnis von Gesundheitsförderung ist damit eine systemische Intervention verbunden, die sozial- und gesamtpolitische Handlungsaspekte beinhaltet und die Veränderungen des Kontextes anstrebt. Prävention grenzt sich durch ihre Orientierung an pathogenen Risiken und Belastungen, die vermieden/verringert werden sollen, von der Gesundheitsförderung ab.

Gesundheitsförderung ließe sich ebenso den unterschiedlichen Interventionsebenen der Prävention zuordnen [6, S. 23]:

  • Primärprävention/-intervention – Vermeidung genereller (Teil-)Ursachen vor Eintreten einer fassbaren biologischen Schädigung,

  • Sekundärprävention/-intervention – Früherkennung,

  • Tertiärprävention/-intervention – wirksame Behandlung einer symptomatisch gewordenen Erkrankung mit dem Ziel, ihre Verschlimmerung zu verhüten.

Die drei Ebenen sind nicht als aufeinander folgende Phasen zu verstehen, sondern als interagierende Ebenen, auf denen auch parallel bzw. kumulierend interveniert werden kann.

Gesundheitsförderung grenzt sich in diesem Verständnis gegenüber der Prävention ab, indem sie auf unspezifische Maßnahmen zur Vorbeugung von Krankheit fokussiert wie Steigerung des Wohlbefindens, Vermeiden seelischer Erschöpfungszustände, Steigerung unspezifischer Resilienz gegenüber Krankheiten und Gewährleistung gesundheitlicher Lebensbedingungen.

Die konsequente Verwendung des Begriffspaars Gesundheitsförderung und Prävention im Betrieb legt nahe, dass ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt werden soll.

Ganzheitlicher und integrierter Ansatz im Betrieb

In den Betrieben sind die Krankenkassen zur Erbringung von Leistungen der Gesundheitsförderung verpflichtet – Prävention wird im Titel des § 20b SGB V nicht ausdrücklich benannt. Diese implizite Trennung der Leistungen der Prävention von der Gesundheitsförderung setzt eine Abgrenzung von Gesundheitsförderung und Prävention voraus, die allerdings, wie oben beschrieben, nicht überschneidungsfrei gegeben ist.

Für den Betrieb ist diese Trennung jedoch sinnvoll (wenn auch nicht unproblematisch), da dieser Bereich im Unterschied zu den anderen Lebenswelten stark reguliert ist und bereits Akteure und Verantwortliche für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten – im Sinne der Prävention – verankert sind. Der Gesetzgeber weist zudem explizit daraufhin, dass die Ziele der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) zu berücksichtigen sind und fordert eine Zusammenarbeit mit den Arbeitsschutzakteuren auf unterschiedlichen Ebenen. Mit anderen Worten: Prävention ist bereits eine gesetzliche Aufgabe der Arbeitgeber.

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten durch Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu sichern und zu verbessern (§ 1 ArbSchG). Zu Maßnahmen des Arbeitsschutzes zählen alle Maßnahmen, die der Verhütung von Unfällen, arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren und der menschengerechten Gestaltung von Arbeit dienen (§ 2 Abs. 1 ArbSchG). Der Arbeitgeber hat für eine geeignete Organisation des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu sorgen, Arbeitsbedingungen zu beurteilen, Maßnahmen festzulegen, umzusetzen und auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen (§§ 3, 5, 6 ArbSchG). Die systematische Verbesserung in den Betrieben erfolgt über Gefährdungsbeurteilungen, die regelmäßig aktualisiert werden und die Erfassung psychischer Belastungen einschließen. In den allgemeinen Grundsätzen des Arbeitsschutzes ist zudem geregelt, dass die Verringerung der Gefahren an der Quelle Vorrang vor individuellen Schutzmaßnahmen hat. Maßnahmen sind im Sinne einer übergreifenden betrieblichen Präventionspolitik mit dem Ziel zu planen, Technik, Arbeitsorganisation, sonstige Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und Einfluss der Umwelt auf den Arbeitsplatz zu verknüpfen (§ 4 ArbSchG). Damit ist die Prävention im Sinne einer Reduktion von Belastungen bzw. Vermeidung/Minimierung von Gefährdungen eine explizite und rechtlich bereits fixierte Aufgabe der Arbeitgeber.

Gesundheitsförderung ist demgegenüber eine für die Arbeitgeber freiwillige Aufgabe, bei deren Entwicklung und Umsetzung die Krankenkassen zur Unterstützung verpflichtet sind.

Die begriffliche Abgrenzung von Gesundheitsförderung und Prävention bzw. im betrieblichen Kontext zwischen Arbeits- und Gesundheitsschutz und betrieblicher Gesundheitsförderung ist jedoch auch mit Blick auf die Planung und Durchführung von Maßnahmen nicht trennscharf. Denn die Förderung von Ressourcen, wie etwa der notwendigen Fähigkeiten zur Bewältigung von (beruflichen) Anforderungen, ist ebenfalls eine Maßnahme, die zur Vermeidung von Krankheiten bzw. zum Schutz der Gesundheit der Mitarbeiter beiträgt und somit auch präventiv wirkt. Sind Maßnahmen im Rahmen der Beurteilung der Arbeitsbedingungen bzw. Gefährdungsbeurteilung entwickelt worden, sind diese dem betrieblichen Arbeitsschutz zuzurechnen und die Kosten müssen vom Arbeitgeber getragen werden (vgl. § 3 Abs. 3 ArbSchG).

Aufgabenabgrenzung zwischen den Akteuren

Die Krankenkassen haben gemäß § 20b Abs. 1 Satz 1 SGB V die Aufgabe, gesundheitsförderliche Strukturen durch Leistungen zur betrieblichen Gesundheitsförderung aufzubauen und zu stärken. Der Gesetzgeber definiert diese Leistungen im Sinne eines systematischen und prozessorientierten Vorgehens analog der Verpflichtungen des Arbeitgebers im Arbeitsschutzgesetz (§§ 3, 4, 5 ArbSchG): Die Krankenkassen ermitteln unter Beteiligung der Versicherten (Beschäftigten), der Arbeitgeberin sowie den unterstützenden Fachkräften für Arbeitssicherheit und den Betriebsärzten die gesundheitliche Situation, bestehende Risiken und Potenziale. Sie entwickeln Vorschläge zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation sowie zur Stärkung der gesundheitlichen Ressourcen und Fähigkeiten. Sie unterstützen außerdem bei der Umsetzung der Maßnahmen.

Originäre Aufgaben des Arbeitsschutzes, die in die alleinige Zuständigkeit und Finanzierung von Arbeitgebern fallen (z. B. Zurverfügungstellung von persönlicher Schutzausrüstung, Arbeitsmittel, Sicherheitseinrichtungen, Einrichtung von Arbeitsstätten), dürfen die Krankenkassen jedoch nicht (mit)finanzieren [9, S. 9].

Eine Abgrenzung der Maßnahmen des Arbeitsschutzes von den Maßnahmen der Gesundheitsförderung im Betrieb erfolgt letztlich durch eine Leistungsdefinition seitens der Krankenkassen.

Der gesetzliche Auftrag zur Gesundheitsförderung und Prävention im Betrieb lässt sich in die Handlungsfelder (vgl. Abb. 1):

  • Aufbau von Ressourcen,

  • arbeitsplatzbezogene Versorgung von Krankheit betroffener Personen und

  • Prävention durch Belastungsoptimierung

beschreiben.

Diese Handlungsfelder knüpfen an das betriebliche Gesundheitsmanagement an, das im GKV-Leitfaden Prävention [9, S. 79] als Oberbegriff die drei Säulen klassischer Arbeits- und Gesundheitsschutz, betriebliche Eingliederungsmanagement und betriebliche Gesundheitsförderung miteinander verbindet.

Abb. 1
figure 1

Verbindung von Arbeits- und Gesundheitsschutz, betrieblicher Gesundheitsförderung und BEM [9, S. 79]

Die Belastungsoptimierung ist zentrale Aufgabe des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes, die arbeitsplatznahe, den einzelnen Mitarbeiter in der Erkrankung unterstützende Versorgung ist insbesondere Aufgabe des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84, SGB IX und der Aufbau von Ressourcen ist eng verzahnt mit Aspekten der Arbeitsorganisation, Arbeitsgestaltung und der Personalentwicklung (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Handlungsfelder für Gesundheitsförderung und Prävention im Betrieb (eigene Darstellung)

Systematisierung und Abstimmung der Prozesse

Damit rückt die Systematisierung und Abstimmung der Prozesse und Maßnahmen in den Blickpunkt. Die Krankenkassen werden durch das Gesetz in ihrer beratenden und begleitenden Funktion gestärkt, insbesondere dort, wo das Ineinandergreifen der Perspektiven Prävention (Belastungsreduktion bzw. -optimierung) und Gesundheitsförderung (Ressourcenorientierung) gefragt sind.

Mögliche Leistungen der Krankenkassen werden im „Leitfaden Prävention – Handlungsfelder und Kriterien des GKV-Spitzenverbandes“ [9] aufgeführt. Diese umfassen insbesondere:

  • Analyseleistungen (z. B. Arbeitsunfähigkeits-, Arbeitssituations- und Altersstrukturanalysen, Befragungen von Mitarbeitern, Durchführung von Workshops u. a. Verfahren) zur Bedarfsermittlung,

  • Beratung zur Gestaltung gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen,

  • Beratung zur Ziel- und Konzeptentwicklung sowie zu allen Themen der Beschäftigtengesundheit einschließlich Unterstützungsmöglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben,

  • Unterstützung beim Aufbau eines Projektmanagements,

  • Moderation von Arbeitsgruppen, Gesundheitszirkeln und ähnlichen Gremien,

  • Qualifizierung/Fortbildung von Multiplikatoren in Prävention und Gesundheitsförderung,

  • Umsetzung verhaltenspräventiver Maßnahmen,

  • interne Öffentlichkeitsarbeit,

  • Dokumentation, Evaluation und Qualitätssicherung [9, S. 76].

Die Krankenkassen sollen die Unternehmen in der Analyse, Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen unterstützen. Dies setzt einen entsprechenden Gestaltungswillen und die primäre Verantwortung der Arbeitgeber für Prävention im Betrieb voraus. Die Leistungen der Krankenkassen können nur in einem entsprechend gestalteten Kontext ihre präventive Wirkung entfalten. Damit eine Umsetzung der Maßnahmen sichergestellt ist, sind die Unternehmen verbindlich an den Projektkosten zu beteiligen und die Förderung von Maßnahmen im Betrieb sollte an Qualitätskriterien der betrieblichen Gesundheitsförderung geknüpft werden. Dazu zählen z. B. ein systematisches Vorgehen i.S. des PDCA-Regelkreises und die Berücksichtigung der Grundsätze der Luxemburger Deklaration [9, S. 76 f]. Der Gesetzgeber macht keine Aussagen, wie die miteinander in Konkurrenz stehenden Krankenkassen diese Aufgaben betriebsbezogen gemeinsam gestalten sollen.

Systematische Weiterentwicklung der Leistungen

Das Präventionsgesetz stützt mit der Forderung nach Kooperation der Akteure und der Verknüpfung der Strategien v. a. die systematische Weiterentwicklung der Leistungen der Krankenkassen auf dem Gebiet der Gesundheitsförderung und des systematischen Vorgehens im Betrieb. Aus den allgemeinen Bestimmungen und Zielen des Gesetzes ergeben sich verschiedene Ansatzpunkte hierfür. So sind zentrale Aspekte die Förderung der Selbstbestimmung der Menschen sowie die Verringerung geschlechtsbezogener und sozialer Ungleichheit in den Gesundheitschancen. In Betrieben sind soziale Ungleichheiten v. a. in der systematisch ungleichen Verteilung von Belastungen und Ressourcen begründet. Für eine systematische Weiterentwicklung sind die unterschiedlichen Konstellationen zunächst zu erfassen und deren Auswirkungen auf die Gesundheit zu untersuchen. Ungünstige Konstellationen gilt es zu identifizieren und entsprechend zu verändern. Grundsätzlich können Belastungen optimiert bzw. reduziert und Ressourcen gestärkt werden. Dabei ist anzunehmen, dass Ressourcen kontextabhängig wirksam sind. Dies wirkt sich auf die Anforderungen an die Evaluation und Qualitätssicherung von Leistungen aus. Die Wirksamkeit von Leistungen, die z. B. Krankenkassen anbieten, hängt u. a. von der Mitwirkung unterschiedlicher Akteure ab – wenn beispielsweise im Gesundheitszirkel Maßnahmen entwickelt werden, deren Umsetzung jedoch nicht durch die Verantwortlichen im Betrieb unterstützt wird. Gesundheitszirkel sind dementsprechend nur unter bestimmten Voraussetzungen eine wirksame Intervention. Für eine systematische Weiterentwicklung ist es erforderlich, diese Rahmenbedingungen zu analysieren. Wie lassen sich u. a. die erforderlichen Voraussetzungen für Interventionen im Betrieb herstellen? Dies stellt eine Herausforderung für Evaluation von Leistungen der Gesundheitsförderung und ihren Ausführungsbedingungen dar (vgl. Abschnitt „Weiterentwicklung der Leistungen durch Evaluation“).

Aufbau von gesundheitsfördernden Ressourcen im Betrieb

Ein zentrales Handlungsfeld der betrieblichen Gesundheitsförderung stellt die Entwicklung gesundheitsfördernder Ressourcen im Betrieb dar, da Gesundheit maßgeblich von der Verfügbarkeit von Ressourcen abhängt. Was sind jedoch Gesundheitsressourcen? Gesundheitsförderliche Ressourcen lassen sich differenzieren in personale, soziale und organisationale Ressourcen [29], wie sie in der folgenden Tab. 1 dargestellt sind.

Tab. 1 Klassifikation von Ressourcen im Arbeitsprozess (Udris zitiert nach Richter [25, S. 29])

Die Klassifikation der Ressourcen orientiert sich an arbeitswissenschaftlichen Modellen, die offensichtlich andere Faktoren für die Entstehung von Gesundheit relevant machen, als die in der Praxis vorherrschenden Angebote der betrieblichen Gesundheitsförderung. In der betrieblichen Praxis überwiegen häufig Maßnahmen, die sich allgemein auf die Widerstandsfähigkeit bzw. auf das Verhalten der Person konzentrieren. Personenbezogene Angebote werden dabei jedoch oft losgelöst von der Entwicklung der sozialen und organisationalen Aspekte gefördert. Ein Beispiel hierfür ist die Förderung von Resilienz (Widerstandskraft) in Betrieben. Eine kritische Betrachtung des Konzepts zeigt, dass Resilienz keine stabile Eigenschaft von Personen ist. Sie entsteht vielmehr durch die Auseinandersetzung der Individuen mit ihrer Umwelt. Damit Personen Resilienz entwickeln, brauchen sie Erfahrungen mit sich und ihrer Umwelt, die von einer gewissen Kontinuität geprägt sind [6, S. 104].

Nach den Ergebnissen der entwicklungspsychologischen Forschung sind dies v. a. soziale und soziokulturelle Faktoren, wie z. B. die Verfügbarkeit von Vertrauenspersonen, Zusammenhalt und Verlässlichkeit innerhalb eines engeren sozialen Netzes, Freundschaftsbeziehungen, konstruktive Kommunikation, transparente und konsistente Regeln sowie prosoziale Normen und Werte [6, S. 105].

Ein von der betrieblichen Praxis isoliertes Kursangebot zum Thema Resilienz erscheint vor diesem Hintergrund nur begrenzt wirksam. Es käme vielmehr darauf an, gleichzeitig betriebskulturelle und arbeitsorganisatorische Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Menschen nachhaltige resilienzfördernde Erfahrungen mit ihnen machen [6, S. 105].

Die Entwicklung von Resilienz setzt also Ressourcen bzw. Rahmenbedingungen voraus, die nicht in der Person selbst liegen. Resilienzfördernde Faktoren sind soziale Unterstützung, Selbstwirksamkeit, Kohärenzgefühl und aktives Coping [12, S. 259]. Unterstützung zählt zu den sozialen Ressourcen und ist selbst eingebettet in den Kontext der Organisation (organisationale Ressourcen). Um soziale Unterstützung zu ermöglichen, sind entsprechende Spielräume notwendig [27, S. 20]. Gleichzeitig muss sie als angemessen wahrgenommen werden, um gesundheitsförderlich zu wirken [6]. Maßnahmen, die soziale Unterstützung oder andere Resilienzfaktoren fördern, können demnach nicht ausschließlich am individuellen Verhalten ansetzen. Gesundheitsförderung im Betrieb bleibt an die Gestaltung von Arbeitsbedingungen gebunden. Denn auch andere gesundheitsfördernde Faktoren wie Gratifikation, Wertschätzung und Anerkennung, Handlungsspielräume, positive Sozialbeziehungen und ein unterstützendes Führungsverhalten [6, S. 105] lassen sich nur durch die Entwicklung der Organisation fördern. In der Entwicklung gesundheitsförderlicher Ressourcen gilt es also ebenfalls, einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, welcher der Reduktion von Gesundheitsressourcen auf die Ebene der personalen Ressourcen entgegenwirkt. Dieser knappe Exkurs zur Gesundheitsressourcen zeigt auf, dass Leistungen der Krankenkassen deutlich mehr umfassen können als das, was Betriebe oftmals als vermeintlich schnelle Lösung abfragen: Bewegungs-, Ernährungs- und Entspannungsangebote oder Raucherentwöhnungskurse.

Selbstbestimmung unter widersprüchlichen Bedingungen

Gesundheitsförderung definiert der Gesetzgeber als Förderung des selbstbestimmten und gesundheitsorientierten Handelns der Versicherten. Selbstbestimmt impliziert, dass gesundheitsförderliche Angebote für Versicherte bzw. für Beschäftigte freiwillig sind und es setzt ihre Beteiligung voraus – in allen Phasen der betrieblichen Gesundheitsförderung. Partizipation ist das zentrale Prinzip der Gesundheitsförderung. Das partizipative Vorgehen gehört zu einer der Kernleistungen der Krankenkassen. Die Beteiligung der Beschäftigten ist sowohl in der Zielfindung, bei Entscheidungen, der Analyse und Entwicklungen von Maßnahmen, ihrer Umsetzung als auch in der Evaluation und Wirksamkeitskontrolle zu gewährleisten.

Selbstbestimmung zu fördern ist jedoch kein leichtes Unterfangen. So ist beispielsweise nicht vorauszusetzen, dass Menschen überhaupt das Ziel verfolgen, ihre Gesundheit zu fördern. Sie selbst sind mit eigenen z. T. widersprüchlichen Zielen und Anforderungen konfrontiert. Ob und wie sie diese Anforderungen bewältigen, hängt nicht zuletzt von den verfügbaren Ressourcen ab. Ob Sport treiben eine gesundheitsorientierte Handlung ist, hängt von den jeweiligen Umständen ab. Wer z. B. berufstätig ist und sich in der Familie um kleine Kinder kümmert, hat ggf. gar keine zeitlichen Ressourcen, um regelmäßig Sport zu treiben. Der gesellschaftliche Imperativ „Halte dich gesund!“ wird zu einer weiteren Aufgabe, die auch noch bewältigt werden muss. Jürgens und Heiden [15, S. 203] haben darauf hingewiesen, dass (expertengetriebene) Diskurse durchaus mit einem gesundheitlichen Risiko einhergehen: Das, was bislang der Erholung dienlich war – z. B. Zeit mit der Familie verbringen – wird abgewertet. Die Dauerthematisierung der Gesunderhaltung erzeugt permanenten Druck. All die verhaltensbezogenen Angebote wirken u. U. belastungsverstärkend, wenn grundlegende Reproduktionsbedürfnisse nicht mehr erfüllt werden können. Selbstbestimmtes und gesundheitsorientiertes Handeln im Bereich Betrieb lässt sich nicht auf die üblicherweise mit Gesundheit assoziierten Angebote reduzieren.

Eine Orientierung am Begriff der Gesundheitskompetenz könnte hilfreich sein, um sinnvolle Anknüpfungspunkte für die betriebliche Gesundheitsförderung zu identifizieren. Dieser definiert Gesundheitskompetenz als Fähigkeit (und Möglichkeit) zur Bewältigung der Anforderungen [2]. In dieser Definition sind Ressourcen in Beziehung gesetzt zu den beruflichen und privaten Anforderungen an den Menschen.

Das Zusammenspiel von Verhältnissen und Verhalten muss also Gegenstand der systematischen Weiterentwicklung der Gesundheitsförderung sein. Die Bearbeitung widersprüchlicher Anforderungen sowie des Ungleichgewichts von Anforderungen und Bewältigungsmöglichkeiten sind ein häufiges Thema im betrieblichen Gesundheitsmanagement bzw. der Gesundheitsförderung. Soziale Konflikte am Arbeitsplatz sind oft Ausdruck organisationaler Konflikte und unterschiedlicher Interessen, die angemessen bearbeitet werden müssen. Die Krankenkassen leisten bereits Unterstützung zu Themen wie Beratung bei Mobbing, Konfliktmanagement/Mediation, Rückkehr- und Fürsorgegespräche sowie mitarbeiterorientierte Führung [9, S. 76].

Beratung als Unterstützungsangebot

Veränderungen in den Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen sowie die Entwicklung neuer Arbeitsformen führen zu einer Verlagerung von den physischen zu psychomentalen Belastungen und Beanspruchungen [13]. Bedingt durch die stabil hohe psychische Belastung der Arbeitnehmer ist von einer hohen Prävalenz für psychische Erkrankungen auszugehen, die jedoch nur unzureichend als (ökonomisches) Risiko in den Betrieben berücksichtigt und bearbeitet wird. Den hohen Risiken für die psychische Gesundheit in Zusammenhang mit Arbeitsbedingungen und Arbeitsanforderungen steht ein unzureichendes Versorgungsangebot an Therapie und psychosozialer Beratung gegenüber. Die psychosoziale Situation der Arbeitnehmer ist, so Häfner, oft ein blinder Fleck in der Arbeitsmedizin und umgekehrt werden Arbeitsstörungen oft in der Psychotherapie vernachlässigt. Auch im Hinblick auf das Ziel, die ungleichen Gesundheitschancen zwischen den Geschlechtern zu reduzieren, könnte psychosoziale Beratung einen Beitrag leisten. Im Sinne Zehetners [31 S. 5, 270] kann Beratung die Selbstbestimmung über die eigene Gesundheit unterstützen, indem sie gesellschaftlich strukturierte Konflikte mit den Klienten reflektiert. Sie böte beispielsweise Raum für Frauen, die sich verschärfenden Strukturkonflikte zwischen Anforderungen der Erwerbstätigkeit und der Fürsorgearbeit [8] in der Familie zu bearbeiten.

In den Betrieben wird dieser Bedarf durch extern angebotene „employee assistance programs“ (EAP) aufgegriffen, deren historischer Ursprung häufig in der Unterstützung von Betrieben in Fragen der Suchtprävention lag. Führungskräfte sollten hier von diesen stark belastenden Aspekten der Führungsarbeit entlastet werden, in dem Mitarbeiter im Krisenfall telefonisch Kontakt zur externen EAP-Beratung aufnehmen können [9, S. 95 f].

Bisher sind die Krankenkassen an diesen EAP-Leistungen nicht beteiligt. Im Kontext der betriebsnahen Versorgung von Krankheit betroffener Personen könnte psychosoziale Beratung jedoch als Präventionsleistung relevant werden. Im betrieblichen Eingliederungsmanagement sollen in einem gemeinsamen Suchprozess Maßnahmen entwickelt werden, die dazu beitragen, die Arbeitsfähigkeit und den Arbeitsplatz zu erhalten. Krankenkassen können auf Wunsch der Betroffenen beteiligt werden, haben allerdings im Fall laufender Krankengeldzahlungen auch ein eigenes wirtschaftliches Interesse an einer schnellen Beendigung der Zahlungen. Unsere eigenen Erfahrungen in der Begleitung von BEM-Prozessen lassen vermuten, dass eine klientenorientierte Beratung von den Betroffenen als unterstützend empfunden wird und ihnen hilft, ihre Situation perspektivisch so gut wie möglich zu bewältigen. Beratung steht jedoch vor der Herausforderung, nicht zur „Individualisierungsagentur der Selbstoptimierung“ zu werden [26, S. 30]. Der vergleichsweise geringe Verbreitungsgrad von BEM [19] insbesondere in Kleinst- und Kleinunternehmen eröffnet hier viel Raum für zukünftige Unterstützungsleistungen für die Betriebe.

Geschlechtergerechtigkeit in den Gesundheitschancen fördern

An dieser Stelle soll auf eine neue Zieldimension in der Gesundheitsförderung und Prävention hingewiesen werden, die im Verständnis der Autoren eine besondere Form sozialbedingter(!) ungleicher Gesundheitschancen adressiert: die geschlechtsbezogenen ungleichen Gesundheitschancen.

Um Geschlechtergerechtigkeit in den Gesundheitschancen zu fördern, ist eine Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen der Geschlechterforschung unerlässlich. Als normative Grundlage sei hier das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) genannt sowie die damit umgesetzten Europäischen Rahmenrichtlinien, die Diskriminierung wegen des Geschlechts verbieten. Ein zentraler Begriff im AGG ist die mittelbare Benachteiligung. Diese liegt vor, wenn scheinbar neutrale Regeln/Prozesse/Verfahren im Ergebnis zu einer Benachteiligung einer der Gruppen (Frauen oder Männer) führen. So ist beispielsweise der Ausschluss von Teilzeitkräften aus der betrieblichen Zusatzrente als diskriminierend verurteilt worden, da diese Regelung mittelbar überwiegend Frauen nachteilig betraf.

Maßnahmen der Gesundheitsförderung dürfen für Frauen und Männer unterschiedlich sein, wenn dies aus biologischen Gründen zwingend erforderlich ist. Sprich: Für Männer muss man keine Präventionsmaßnahmen rund um die Schwangerschaft anbieten. Es dürfen auch kompensatorische oder positiv diskriminierende Maßnahmen getroffen werden, wenn dadurch bestehende Nachteile kompensiert werden (§ 5 AGG). Gleichzeitig müssen Maßnahmen so gestaltet sein, dass daraus keine Benachteiligungen wegen des Geschlechts entstehen.

Ein weiterer Begriff zur Klärung der Zielvorgabe „Verminderung sozial bedingter Ungleichheit“ ist der der sozialen Ungleichheit. Hiermit ist das Zustandekommen einer systematischen und regelmäßig ungleichen Verteilung gesellschaftlich wertvoller Güter gemeint [14, S. 29]. Mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts bezieht sich auf die systematisch und regelmäßig ungleiche Verteilung von Ressourcen und Belastungen zwischen den Geschlechtern. Wie zu erkennen ist, sprechen wir hier über soziale Prozesse, nicht über biologische Eigenschaften von Personen.

Was sind die zentralen Mechanismen, die zu einer ungleichen, d. h. nicht geschlechtergerechten, Verteilung von Ressourcen und Belastungen beitragen?

Aus der Geschlechterforschung ist bekannt, dass die geschlechtstypisierende Arbeitsteilung in Beruf und Familie ein solcher zentraler Mechanismus ist [3]. Frauen und Männer üben in diesen Sphären nicht dieselben Tätigkeiten aus, auch nicht, wenn sie z. B. im Betrieb ähnliche Positionen innehaben. Mit den jeweiligen tatsächlichen Tätigkeiten sind jedoch unterschiedliche Belastungen verbunden. Auch die Ressourcen – wie Handlungs- und Entscheidungsspielräume oder Erholungsmöglichkeiten (z. B. frei verfügbare Zeit) – sind ungleich verteilt [30]. Das Belastungs- und Erholungsspektrum ist über Beruf und Familie unterschiedlich auf die Geschlechter verteilt. Hinzu tritt eine unterschiedliche gesellschaftliche Bewertung der typischerweise von Frauen und Männern ausgeübten Tätigkeiten/Berufe. Dies ist bekannt als Unterbewertung von „Frauenarbeit“, die ebenfalls mit verminderten Ressourcen, insbesondere finanziellen, einhergeht [20, S. 331 ff]. Für eine geschlechtergerechte Prävention und Gesundheitsförderung reicht es demnach nicht aus, sich auf ein Setting/eine Lebenswelt zu begrenzen. Die Mehrfachbelastung von Frauen und deren geringeren Erholungsmöglichkeiten lassen sich nur bei Betrachtung der „ganzen Arbeit“ in Beruf und Familie erkennen. Umgekehrt wäre zu untersuchen, welche gesundheitlichen Risiken für Männer mit einer ausgeprägten Fokussierung auf das Arbeitsleben einhergehen [24].

Unterschiedliche Belastungen und Ressourcen ergeben sich aber nicht nur aus der „materiellen“ Arbeitsteilung der Geschlechter, sondern auch durch unterschiedliche geschlechtsbezogene Erwartungen und Zuschreibungen an Frauen und Männer [5]. Die Spielregeln für angemessenes Verhalten unterscheiden sich nach Geschlecht – so lässt sich riskantes Verhalten von Männern u. a. mit der Zurschaustellung von Männlichkeit erklären.

„Geschlechtsspezifische“ Angebote für Männer und Frauen rekurrieren oft auf eine vermeidliche Unterschiedlichkeit von Frauen und Männer und greifen bisweilen Stereotype auf, um die Zielgruppe besser zu erreichen. Damit ist die Gefahr verbunden, die Konstruktion von Geschlechterdifferenzen und Stereotypisierungen aufrechtzuerhalten. Ziel müsste es vielmehr sein, die Wirkungsweisen und Folgen der jeweiligen Geschlechterkultur der Organisation(seinheit) zu reflektieren. Aus der Psychotherapiewirksamkeitsforschung [11] ist bekannt, dass dauerhafte Verhaltensänderungen schwierig sind, wenn das Milieu unverändert bleibt.

Blinde Flecken in den Regeln und Verfahren der Institutionen

Um die Gesundheitschancen für Frauen und Männer gleich zu verteilen, müssten die Krankenkassen, Unfallversicherungsträger und Rentenkassen auch ihre eigenen Regeln und Verfahrensweisen auf blinde Flecken und einen möglichen „gender bias“ hin kritisch untersuchen. Eine Studie zu Unisextarifen der privaten Krankenversicherung hat beispielsweise nachgewiesen, dass die Tarife für Frauen deutlich höher waren als die für Männer, ohne dass dies durch tatsächlich höhere Behandlungskosten für Frauen gedeckt war [10]. Eine Studie von Fokuhl [7] hat u. a. aufgezeigt, dass durchschnittlich weniger für die Behandlung von Frauen ausgegeben wird als für Männer. Große Unterschiede je nach Geschlecht gibt es auch bei den Renten- und Entschädigungsleistungen.

Der Blick auf die eigenen Vorgehensweisen, Regeln, Strukturen und deren Ergebnisse (!) wären ein erster und unerlässlicher Schritt auf dem Weg zum Ziel mehr Geschlechtergerechtigkeit in den Gesundheitschancen. Für die Durchführung von Genderprojekten gibt es bereits nützliche Kriterien, von denen hier nur einige benannt seien:

Formulierung von Gleichstellungszielen! Diese müssen aufgrund geschlechtersensibler Daten bzw. Erfahrungswissen begründet sein.

Geschlechteraspekte sind herauszuarbeiten und theoriebasiert in die Projektkonzeption zu integrieren. Dies schließt eine theoriebasierte Begründung und Wahl der Methoden mit ein.

Die Akteure sollten nachweislich über Kenntnisse der Geschlechterforschung verfügen.

Das Projekt ist partizipativ gestaltet und beteiligt gleichermaßen und projektbezogen Frauen und MännerFootnote 1.

„In den Projektverlauf sind Reflexionsphasen eingeplant, in denen die (Gender-) Praxis systematisch reflektiert und weiterentwickelt wird.“ [1, S. 460 f].

Weiterentwicklung der Leistungen durch Evaluation

Die Leistungen der Krankenkassen und Unfallversicherungsträger sollen systematisch weiterentwickelt werden. Der Gesetzgeber sieht hierfür verbindlich vor, dass der entsprechende Sachverstand und wissenschaftliche Erkenntnisse einzubeziehen sind und die Maßnahmen der Prävention und der Gesundheitsförderung im Rahmen der nationalen Präventionsstrategie – analog zur Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie – auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen sind.

Ein Blick auf die bisherige Evaluierungspraxis zeigt, dass diese kaum geeignet ist, um die Wirksamkeit im Hinblick auf die Ziele – Geschlechtergerechtigkeit und Reduktion sozial bedingter Ungleichheit in den Gesundheitschancen – zu erfassen. Die bisherige Evaluation der individuellen und betrieblichen Prävention durch den MdS (des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen [22]) ist nicht mehr ausreichend. Es fehlt beispielsweise eine theorie- und datenbasierte Konkretisierung der Ziele – geschlechterbezogene Ungleichheit von Gesundheitschancen – sowie eine angemessene Operationalisierung der Einflussfaktoren und deren valide Erhebung. Der Bericht zum einzelnen Unternehmen beruht jeweils auf einer Selbstauskunft der für die Betriebe zuständigen Krankenkassenmitarbeiter zum eigenen Gesundheitsprojekt. So ist beispielsweise nicht transparent, nach welchen Kriterien Maßnahmen als verhaltens- oder verhältnisbezogen (oder beides) eingestuft werden. Die Maßnahmen werden nur sehr allgemein erfasst, zu deren konkreten Umsetzung und Kontextbedingungen der Umsetzung liegen keine Daten vor. Wirkungszusammenhänge sind auf dieser Datenbasis nicht zu erfassen. Modellvorhaben könnten dazu dienen, die Wirkungszusammenhänge zu explorieren und darauf aufbauend ein valides Indikatorensystem für BGF aufzubauen. Für die Evaluation einzelner Modellprojekte gilt es ebenfalls, den Genderbezug nach den oben skizzierten Kriterien zu konzeptualisieren. Auf bestehende Vorarbeiten zur Evaluation von BGF von Heinrich und Wanek und die Erprobung eines anpassungsfähigen Instrumentariums in Betrieben kann zurückgegriffen werden [17].

Ein nicht unerheblicher Teil der Leistungen der Krankenkasse lässt sich der Begleitung von Organisationsentwicklungsprozessen zuordnen. Dies entspricht dem Anspruch der WHO, den Betrieb als Setting zu begreifen und zu gestalten. Die Wirksamkeit von Beratung zu evaluieren stellt eine Herausforderung dar. Beratung findet im Feld unter kontingenten Bedingungen statt, in einem Spannungsfeld von Interessen- und Zielkonflikten. Die einzelnen Variablen lassen sich nicht kontrollieren, noch sind die für statistische Methoden geforderten Fallzahlen zu realisieren. Die Orientierung an der „evidence based medicine“ läuft Gefahr, den Blick auf medizinisch/psychologisch kategorisierbare und kontrollierbare Faktoren zu verengen und die sozialen Prozesse aus dem Blick zu verlieren [28, S. 7].

Last but not least stehen auch die eigenen Verfahren, Regeln und Strukturen der Sozialversicherungsträger auf dem Prüfstand. Diese im Hinblick auf ihren Beitrag auf die Gleichstellung der Geschlechter hin zu evaluieren, ist eine mögliche Aufgabe der BZgA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) oder des GKV-Spitzenverbands.

Kooperation als gemeinsamer Lernprozess

Mit dem Präventionsgesetz soll eine dauerhafte, verbindliche und zielorientierte Kooperation der Sozialversicherungsträger unter Einbeziehung weiterer verantwortlicher Akteure auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene gefördert werden:

Die Nationale Präventionskonferenz (NPK) erarbeitet eine nationale Präventionsstrategie.

In der NPK werden neben der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtend die gesetzliche Renten-, Unfall- und die Soziale Pflegeversicherung eingebunden. Die private Kranken- und Pflegepflichtversicherung kann sich beteiligen, wenn sie angemessen finanziell beiträgt, die Bundesagentur für Arbeit wird beteiligt. Bund und Länder sowie die Spitzenverbände der Sozialpartner bekommen eine beratende Stimme, stellen aber keine Mittel zur Verfügung.

Ein Präventionsforum, in dem v. a. die maßgeblichen Organisationen und Verbände im Bereich von Prävention und Gesundheitsförderung vertreten sein sollen, berät die Nationale Präventionskonferenz. Mit der Geschäftsführung wird die Bundesvereinigung für Prävention und Gesundheitsförderung beauftragt.

Auf Landesebene schließen die Sozialversicherungsträger zur Umsetzung der nationalen Präventionsstrategie und zur Sicherung der Zusammenarbeit mit den in den Ländern zuständigen Stellen Landesrahmenvereinbarungen. Hier werden auch die für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörden beteiligt bzw. können der Rahmenvereinbarung beitreten.

Für die konkrete Unterstützung der Betriebe sind die Krankenkassen verpflichtet, Koordinierungsstellen einzurichten, die Unternehmen auf Anfrage beraten und unterstützen. Erste regionale Ausschreibungen sind erfolgt, doch bleibt zu klären, wie z. B. Betriebe mit beispielweise 5–10 vertretenen Krankenkassen, die untereinander im Wettbewerb stehen, beraten werden können. Die finanzielle Beteiligung aller Krankenkassen an Folgemaßnahmen, die aus der Analysephase abgeleitet werden, bleibt zu klären.

Durch die Neuregelung der Finanzierung der Gesundheitsförderung im Betrieb stehen zudem entsprechende finanzielle Ressourcen zur Verfügung. Diese können auch in bis zu 8‑jährige Modellvorhaben fließen, was wie oben beschrieben, eine systematische Weiterentwicklung der Leistungen unterstützen würde.

Auf der betrieblichen Ebene liegt der mögliche Gewinn des Präventionsgesetzes prospektiv in einem gemeinsamen Lernprozess der beteiligten Akteure, der es ihnen ermöglicht, sukzessive ihre Vorgehensweisen und Maßnahmen abzustimmen. In der Bundesrahmenempfehlung erklären die Spitzenverbände:

Es ist gemeinsames Ziel der Sozialversicherungsträger, den gesetzlichen Arbeitsschutz, das betriebliche Eingliederungsmanagement und die betriebliche Gesundheitsförderung innerbetrieblich systematisch zu institutionalisieren und miteinander zu verzahnen [23, S. 20].

Die Krankenkassen unterstützen zudem die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, indem sie spezifische Maßnahmen zur Reduktion arbeitsbedingter Gesundheitsrisiken erbringen und die Unfallversicherungsträger über ihre gewonnenen Erkenntnisse zum Zusammenhang von Arbeitsbedingungen und Erkrankungen informieren. Krankenkassenübergreifend könnte als Zukunftsaufgabe das Robert-Koch-Institut eine betriebliche Gesundheitsberichterstattung betriebsbezogen aufbauen, die durch die bisherigen Berichte der GKV (AOK, BKK, Ersatzkassen, IKK) um deren Spezifika (z. B. Medikamentenkonsum, psychische Erkrankungen) ergänzt werden.

Möglichkeiten und Gelegenheiten zur Zusammenarbeit der gesetzlichen Krankenkassen und der gesetzlichen Unfall- und Rentenversicherungsträger bieten sich beispielsweise:

  • in der Zusammenarbeit in Steuerungsgremien,

  • bei der Durchführung von Analysen, Risikobewertungen und Befragungen von Beschäftigten,

  • in der Qualifizierung von Führungskräften und Multiplikatoren,

  • in der Gestaltung von Medien/innerbetrieblicher Öffentlichkeitsarbeit/überbetrieblicher Informationskampagnen und

  • in der Betreuung von Betrieben im Rahmen von Netzwerken [23, S. 21].

Im Rahmen einer solchen praktizierten Zusammenarbeit könnten die bisherigen Maßnahmen, Instrumente gemeinsam reflektiert und weiterentwickelt werden. Dazu zählen beispielsweise:

  • die konzeptionelle Überprüfung des Instruments einer ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilung,

  • die Einführung einer betrieblichen Gesundheitsberichterstattung unabhängig von der Zugehörigkeit der Mitarbeiter zu einer spezifischen Krankenkasse (Leitsatz: ein Betrieb – ein Bericht),

  • die Evaluation und Weiterentwicklung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) und Verbesserung der arbeitsplatznahen Versorgung,

  • Qualifizierung der betrieblichen Akteure, der Betriebsärzte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Sicherheitsbeauftragte zu Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, psychische und physische Belastungen.

Schlussfolgerungen

Mit dem Präventionsgesetz werden die Ziele der primären Prävention und Gesundheitsförderung neu geregelt. Für Gesundheitsförderung und Prävention wurden Ziele und Handlungsfelder definiert. Die beteiligen Akteure sind aufgefordert, eine abgestimmte Strategie zu Erreichung dieser Ziele zu entwickeln. Für den Bereich Betrieb liegen die Chancen des Präventionsgesetzes v. a. in dem Gebot der systematischen Weiterentwicklung der Vorgehensweisen und Leistungen der Gesundheitsförderung und Prävention auf der Basis eines ganzheitlichen integrierten Ansatzes:

Ein zentrales Handlungsfeld der betrieblichen Gesundheitsförderung stellt die Entwicklung gesundheitsfördernder Ressourcen im Betrieb dar. Maßnahmen der Gesundheitsförderung im Betrieb sollten auf Faktoren gerichtet sein, die im Betrieb gestaltet werden können. Hierzu gehört u. a. die soziale Unterstützung als Aspekt sozialer und organisationaler Ressourcen. Eine weitere Herausforderung ist die Förderung von gesundheitlicher Selbstbestimmung durch eine entsprechende Gestaltung von Partizipation sowie die Unterstützung von Individuen bei der Bewältigung von als krisenhaft erlebten Anforderungen durch z. B. psychosoziale Beratung. Dies unterstützt auch die mittel- und langfristige Wirksamkeit des betrieblichen Eingliederungsmanagements.

Ein weiteres zentrales Handlungsfeld ist die Entwicklung professioneller Standards zur Integration der Gleichstellungsperspektive in die betriebliche Gesundheitsförderung und Prävention sowie die systematische Reflexion bisheriger Regelsysteme, Verfahren und Strukturen auf ihr Gleichstellungspotenzial bzw. Diskriminierungspotenzial hin.

Zentrales Instrument für eine systematische Weiterentwicklung der Leistungen zur Prävention und Gesundheitsförderung ist deren Evaluation. Diese muss im Hinblick auf die oben skizzierten Ziele und Anforderungen weiterentwickelt und professionalisiert werden. Modellvorhaben könnten dazu dienen, die Wirkungszusammenhänge zu explorieren und darauf aufbauend ein valides Indikatorensystem für die Evaluation von Interventionen in Settings zu entwickeln.

Fazit für die Praxis

Nachhaltige Ergebnisse in den oben benannten Handlungsfeldern sind nur möglich, wenn Kooperation und Koordination als gemeinsamer Lernprozess organisiert werden. Mit dem Präventionsgesetz soll eine dementsprechende dauerhafte, verbindliche und zielorientierte Kooperation der Sozialversicherungsträger unter Einbeziehung weiterer verantwortlicher Akteure auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene gefördert werden. Die dafür zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel der GKV sollten durch staatliche Gelder weiter aufgestockt werden und für qualitätsgeprüfte Angebote trägerübergreifend verwendet werden. Von diesen Kooperationsgeboten ausgehend, sind gemeinsame Maßnahmen und Formen der Reflexion der bisherigen Vorgehensweisen definierbar. Auf dieser Basis erschließen sich die Möglichkeiten und Gelegenheiten zur Zusammenarbeit von gesetzlichen Krankenkassen und der gesetzlichen Unfall- und Rentenversicherungsträger, um angemessene und nachhaltige Kooperationsformen zu entwickeln.